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Man wird sehr rasch bekannt.




«Nehmen Sie Platz», sagt der Kommissar, als Schinz, seinen Mantel auf dem Arm, vor dem Tisch steht und wieder eine Krawatte trägt: «Bitte, nehmen Sie Platz.»

Schinz bleibt stehen.

«Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen», sagt er: «dass mein Zug in vier Minuten weitertfährt.»

«Das geht mich nichts an.»

Pause.

«Meinetwegen bleiben Sie stehen.»

Schinz setzt sich, es hat keinen Sinn, die Leute vor den Kopf zu stoßen; das ist ihr Dienst, ein widerlicher Dienst.

«Schinz, Heinrich Gottlieb –.»

«Ja.»

«Doktor jur.»

«Ja.»

«Rechtsanwalt –.»

«Ja», sagt Schinz; es fehlt jetzt nur noch, denkt er, dass der Hornochse mir vorliest, wie viel Zentimeter ich habe.

«Geboren –»

«Ja»

Draußen hört man das Gepaff der Lokomotive, bereit, jeden Augenblick abzufahren; Schinz beißt auf die Lippen, der Hornochse blättert im Pass, als hätte er noch keinen gesehen.

«Wo fahren Sie hin?»

«Hinaus», sagt Schinz.

«Ich frage, wo Sie hinfahren.»

«Ich sage: Hinaus.»

Pause.

«Ich frage Sie zum letzten Mal.»

 

14 Schinz hat Mühe, (старается) nicht zu hassen, alle zu hassen in diesem Einzigen, (не ненавидеть всех в этом единственном) der da hockt, (который тут сидит) seinen Pass in der Hand, zu hassen, zu hassen... Nicht die Nerven verlieren! (не терять спокойствие, «нервы») denkt er: «Ich muss hinaus, (мне нужно вырваться отсюда) ich muss, ich kann es nicht aushalten, (я не в силах это выдержать) Unrecht zu sehen (видеть несправедливость) und zu schweigen, Zeitungen zu lesen, die das Gegenteil sagen, (говорят обратное /фактам, правде/) Menschen zu sehen, die mich wie einen armen Kranken behandeln, (которые обращаются со мной, как с больным) wie ein Kind mit einem fallenden Weh, zu fühlen, wie sie Angst haben vor meinem nächsten Fauxpas (как они боятся моего следующего ляпсуса), diese mütterliche Sorge, (эта материнская забота) ich könnte unseren Wagen auf ein Trottoir fahren, diesen freundschaftlichen Rat, (этот дружественный совет) ich solle nicht so viel rauchen (что мне не следует так много курить) und mich nicht in eine Sache hineinsteigern, (и вмешиваться в другое дело) das Schweigen, wenn ich mich erkläre, (молчание, когда я изъясняюсь = высказываю свою мысль) die unausgesprochene Hoffnung, (невысказанная надежду) dass ich endlich zu einem Nervenarzt gehe, (что я, наконец, пойду к психиатру) ich halte es nicht mehr aus, (я не выдержу всего этого) ich muss hinaus! (я должен отсюда) und noch ist der Zug nicht abgefahren, (и поезд еще не уехал) die paffende Lokomotive, (пыхтящий локомотив) die zum Platzen voll Dampf ist...» (который едва не разрывается от дыма) «Wo fahren Sie hin?» (куда Вы едете?) «Das geht Sie einen Dreck an!» (Какое Ваше собачье дело; der Dreck – грязь; jemanden angehen – касаться кого-либо, иметь отношение к кому-либо) Schinz ist aufgesprungen, (Шинц вскочил) «Bitte», sagt der Kommissar –»Das geht Sie einen Dreck an!» schreit Schinz: «Das geht Sie einen Dreck an!» Schreien ist so unschinzisch, (кричать это так не по-шинцски) er merkt es jedesmal, (он замечает это каждый раз) bereut es jedesmal, (жалеет об этом каждый раз; die Reue – сожаление) nicht weil der Hornochse ihn jetzt strafen wird, (не потому, что этот осел теперь его оштрафует) bereut es, weil es ihm nicht liegt... (сожалеет, потому что это ему не пристало) Gottlieb, hat Bimba damals gesagt, ich bin nicht taub (я не глухая) Und ob sie taub sind! (еще как они глухи!) Alle sind sie taub! (они все глухие) Sie hören, dass man schreit, (они слышат, что /некто/ кричит) aber nicht, was man schreit. (но они не слышат, что кричит) Das ist es! Natürlich sind sie taub, (конечно, они глухи) sonst würden sie sich selber nicht aushalten, (иначе они были бы сами для себя невыносимы) sie würden eingehen wie die Dogge, (вы бы сдохли, как тот дог) weil sie es gehört haben und nicht sagen können, (потому что они это услышали и не могли сказать) wie die Dogge! denkt er, während der Kommissar sich ebenfalls erhebt und trocken lächelt: (в то время как комиссар слегка приподнялся и сухо улыбнулся) «Bitte. Sie können gehen.» (пожалуйста, Вы можете идти) Den Pass hat er in die Schublade geworfen, (паспорт он бросил в ящик стола) die Schublade schließt er ab, (ящик запирает) den Schlüssel steckt er in die hintere Hosentasche, (ключ засовывает в задний карман брюк) die Fülle seines Arsches zeigend (демонстрируя толщину своего зада; die Fülle – полнота) Schinz hat begriffen, (все понял) nimmt seinen Mantel, (берет свое пальто) geht hinaus, (выходит) doch kommt er nicht weit, (не успевает отойти далеко) bis der junge Gendarm ihn einholt. (пока его не догнал молодой жандарм) «Sie sollen zurückkommen.» (Вам следует вернуться.) «Warum?»

«Sie sollen zurückkommen.»

Schinz geht zurück; der Kommissar steht, eine Pfeife anzündend, (закуривая трубку) so dass er eine Weile nicht sprechen kann; (так что какой-то момент он еще не может говорить) dann sagt er: «Schließen Sie die Türe wie ein anständiger Mensch, (закройте дверь как приличный человек) Herr Doktor.» Schinz schluckt. Der Kommissar raucht, (курит) bereits anderweitig beschäftigt. (занимаясь уже другим /делом/; anderweitig – по-иному, по-другому, другим) Schinz schließt die Türe wie ein anständiger Mensch... Drei Uhr morgens, es regnet wieder in Strömen, (льет как из ведра: «потоками») geht er schwarz über die Grenze, (он нелегально переходит границу) Heinrich Gottlieb Schinz, Rechtsanwalt, ein Mann ohne Papiere. (человек без документов) Die Kinder schämen sich im Gymnasium. (дети стыдятся в гимназии) Einige Nächte sieht sich Schinz, wie er in Stadeln übernachtet, (ночуя в амбарах) nie ganz schlafend, (не высыпаясь) wachsam, (не теряя бдительности; wachen – бодрствовать) solange er sich im Grenzgebiet befindet. (пока он находится в пограничном районе) So ungefähr, (приблизительно так) denkt er, ist Alexis über unsere Grenze gekommen, (Алексис перешел нашу границу) der Emigrant, der als Zeuge kein volles Gewicht hat; man ist sehr rasch ein Emigrant. (быстро становишься эмигрантом) Man ist ansässig, (ты местный: «оседлый») wie man ansässiger nicht sein kann, (что уже нельзя быть «более местным») hat einen Stammbaum (у тебя родословная) und ein Haus; (и дом) plötzlich ist man ein Emigrant. (и вдруг ты эмигрант) Das ist schon öfter vorgekommen! Man sieht die Dinge etwas anders, (ты смотришь на вещи по-другому) als die andern sie lehren; (чем их провозглашают другие; lehren – учить) man kann nichts dafür, (ты не виноват в том) dass die Zeitungen das Gegenteil schreiben... (что газеты пишут обратное) Eines Tages melden sie, (однажды они заявляют) dass Schinz geschnappt worden ist, (что Шинца схватили) nämlich auf der andern Seite. (а именно, на той стороне (границы)) Er soll, wie der behördliche Ausdruck lautet, (как звучит официальное выражение (властей); die Behörde – орган власти, учреждение) abgeschoben werden. (он должен быть выдворен: abschieben; schieben – толкать, передвигать) Abgeschoben! Für die Familie ein nicht ausdenkbarer Schlag. (для семьи невообразимый удар) Nur Bimba hält sich großartig; (Бимба держится великолепно) sie ist alt geworden, (она постарела) hat fast keinen Umgang. (у нее почти нет своего круга общения) Nicht dass die Menschen sie meiden! (не то чтобы ее избегали люди) So sind die Menschen ja auch wieder nicht; (нет, люди все же не таковы) nur Bimba hält sie nicht aus, ((дело) только в том, что Бимба их не выносит) nicht einmal ihr Schweigen. (не выносит даже их молчания) Sie verteidigt nicht alles, (она не защищает всего) was Schinz gesagt und getan hat; (что сказал и сделал Шинц) etwa sein lächerlicher Zank mit der Zeitung; (как например, его смешную перебранку с газетой) aber der Fall mit dem Wagen, (но случай с машиной) ja, das findet auch Bimba, dass der Mann, je öfter sie darüber nachdenkt, (чем чаще она об этом думает) und zwar allein, (а именно, в одиночестве) nicht gestohlen hat. Komisch, wie anders man sieht, (как по-другому смотришь на все) wenn einmal der gewohnte Umgang etwas nachlässt! (когда однажды привычный круг общения начинает меньше влияет на тебя: «немного идет на убыль») Und wie er nachlässt, (и как его влияние ослабевает) wenn man anders sieht; (когда ты смотришь на вещи по-другому) das ist dann nicht mehr komisch, (тогда это уже не странно) Bimba ist sehr alt geworden. (Бимба постарела)

Wieder sitzt da ein Kommissar: «Schinz, Heinrich Gottlieb –?» Schinz schweigt. «Doktor jur.» Schinz schweigt.

«Rechtsanwalt!» sagt der Kommissar, der diesmal keinen Pass hält, (в его руках не паспорт) sondern einen Steckbrief, (а объявление о разыскиваемом преступнике) und fährt fort: (и продолжает) «Warum leben Sie unter einem falschen Namen?» (почему Вы живете под чужим именем) Schinz schweigt «Sie haben die Grenze schwarz überschritten. (Вы нелегально перешли границу: überschreiten) Ihr eigenes Land hat Ihnen die Papiere entzogen.» (Ваша собственная страна отобрала у Вас документы: entziehen) «Das ist nicht wahr!» (Это не правда) «Sie haben also die Grenze nicht überschritten?» (То есть Вы не переходили границу?) sagt der Kommissar nicht ohne Stolz auf die zwingende Führung des Verhörs: (не без гордости за «вынуждающее» = загоняющее противника в угол ведение допроса) «Sie befinden sich also nicht in diesem Land?» (Таким образом, вы находитесь не в этой стране?) «Man hat mir keine Papiere entzogen.» (У меня не отбирали документы) «Wieso haben Sie denn keine?» (почему же у Вас нет документов) Schinz, sich fürs erste mit einem kurzen hämischen Lachen begnügend, (перво-наперво удовлетворившись коротким насмешливым смешком) nimmt ein Taschentuch heraus, (вынимает платок) ein sehr ungewaschenes, (не первой свежести: «весьма немытый») wie es bei einem Schinz höchstens noch in der Bubenzeit hat vorkommen können, (какой мог быть у Шинца только в детстве; der Bube – мальчик; vorkommen – случаться) grau und verwurstelt (серый и свернувшийся /»колбасой»/), feucht, (влажный) widerlich, (отвратительный) dann sagt er: «Das ist eine lange Geschichte –» (это длинная история) Bald erinnert er sich selber nicht mehr! (скоро он уже сам ее не вспомнит) «Damit geben Sie also zu», (тем самым Вы признаете) sagt der Kommissar: «dass Sie nicht Bernauer heißen, (что Вас зовут не Бернауер) sondern Schinz (а Шинц)– Heinrich Gottlieb, Rechtsanwalt?» (адвокат) «Ja.»

 

14 Schinz hat Mühe, nicht zu hassen, alie zu hassen in diesem Einzigen, der da hockt, seinen Pass in der Hand, zu hassen, zu hassen... Nicht die Nerven verlieren! denkt er: «Ich muss hinaus, ich muss, ich kann es nicht aushalten, Unrecht zu sehen und zu schweigen, Zeitungen zu lesen, die das Gegenteil sagen, Menschen zu sehen, die mich wie einen armen Kranken behandeln, wie ein Kind mit einem fallenden Weh, zu fühlen, wie sie Angst haben vor meinem nächsten Fauxpas, diese mütterliche Sorge, ich könnte unseren Wagen auf ein Trottoir fahren, diesen freundschaftlichen Rat, ich solle nicht so viel rauchen und mich nicht in eine Sache hineinsteigern, das Schweigen, wenn ich mich erkläre, die unausgesprochene Hoffnung, dass ich endlich zu einem Nervenarzt gehe, ich halte es nicht mehr aus, ich muss hinaus! – und noch ist der Zug nicht abgefahren, die paffende Lokomotive, die zum Platzen voll Dampf ist...» «Wo fahren Sie hin?» «Das geht Sie einen Dreck an!» Schinz ist aufgesprungen, «Bitte», sagt der Kommissar –

«Das geht Sie einen Dreck an!» schreit Schinz: «Das geht Sie einen Dreck an!» Schreien ist so unschinzisch, er merkt es jedesmal, bereut es jedesmal, nicht weil der Hornochse ihn jetzt strafen wird, bereut es, weil es ihm nicht liegt... Gottlieb, hat Bimba damals gesagt, ich bin nicht taub – Und ob sie taub sind! Alle sind sie taub! Sie hören, dass man schreit, aber nicht, was man schreit. Das ist es! Natürlich sind sie taub, sonst würden sie sich selber nicht aushalten, sie würden eingehen wie die Dogge, weil sie es gehört haben und nicht sagen können, wie die Dogge! denkt er, während der Kommissar sich ebenfalls erhebt und trocken lächelt:

«Bitte. Sie können gehen.»

Den Pass hat er in die Schublade geworfen, die Schublade schließt er ab, den Schlüssel steckt er in die hintere Hosentasche, die Fülle seines Arsches zeigend – Schinz hat begriffen, nimmt seinen Mantel, geht hinaus, doch kommt er nicht weit, bis der junge Gendarm ihn einholt.

«Sie sollen zurückkommen.»

«Warum?»

«Sie sollen zurückkommen.»

Schinz geht zurück; der Kommissar steht, eine Pfeife anzündend, so dass er eine Weile nicht sprechen kann; dann sagt er: «Schließen Sie die Türe wie ein anständiger Mensch, Herr Doktor.»

Schinz schluckt. Der Kommissar raucht, bereits anderweitig beschäftigt. Schinz schließt die Türe wie ein anständiger Mensch... Drei Uhr morgens, es regnet wieder in Strömen, geht er schwarz über die Grenze, Heinrich Gottlieb Schinz, Rechtsanwalt, ein Mann ohne Papiere.

Die Kinder schämen sich im Gymnasium.

Einige Nächte sieht sich Schinz, wie,er in Stadeln übernachtet, nie ganz schlafend, wachsam, solange er sich im Grenzgebiet befindet. So ungefähr, denkt er, ist Alexis über unsere Grenze gekommen, der Emigrant, der als Zeuge kein volles Gewicht hat; man ist sehr rasch ein Emigrant. Man ist ansässig, wie man ansässiger nicht sein kann, hat einen Stammbaum und ein Haus; plötzlich ist man ein Emigrant. Das ist schon öfter vorgekommen! Man sieht die Dinge etwas anders, als die andern sie lehren; man kann nichts dafür, dass die Zeitungen das Gegenteil schreiben... Eines Tages melden sie, dass Schinz geschnappt worden ist, nämlich auf der andern Seite. Er soll, wie der behördliche Ausdruck lautet, abgeschoben werden. Abgeschoben! Für die Familie ein nicht ausdenkbarer Schlag. Nur Bimba hält sich großartig; sie ist alt geworden, hat fast keinen Umgang. Nicht dass die Menschen sie meiden! So sind die Menschen ja auch wieder nicht; nur Bimba hält sie nicht aus, nicht einmal ihr Schweigen. Sie verteidigt nicht alles, was Schinz gesagt und getan hat; etwa sein lächerlicher Zank mit der Zeitung; aber der Fall mit dem Wagen, ja, das findet auch Bimba, dass der Mann, je öfter sie darüber nachdenkt, und zwar allein, nicht gestohlen hat. Komisch, wie anders man sieht, wenn einmal der gewohnte Umgang etwas nachlässt! Und wie er nachlässt, wenn man anders sieht; das ist dann nicht mehr komisch, Bimba ist sehr alt geworden. Wieder sitzt da ein Kommissar:

«Schinz, Heinrich Gottlieb –?»

Schinz schweigt.

«Doktor jur.»

Schinz schweigt.

«Rechtsanwalt!» sagt der Kommissar, der diesmal keinen Pass hält, sondern einen Steckbrief, und fährt fort: «Warum leben Sie unter einem falschen Namen?»

Schinz schweigt.

«Sie haben die Grenze schwarz überschritten. Ihr eigenes Land hat Ihnen die Papiere entzogen.»

«Das ist nicht wahr!»

«Sie haben also die Grenze nicht überschritten?» sagt der Kommissar nicht ohne Stolz auf die zwingende Führung des Verhörs:

«Sie befinden sich also nicht in diesem Land?»

«Man hat mir keine Papiere entzogen.»

«Wieso haben Sie denn keine?»

Schinz, sich fürs erste mit einem kurzen hämischen Lachen begnügend, nimmt ein Taschentuch heraus, ein sehr ungewaschenes, wie es bei einem Schinz höchstens noch in der Bubenzeit hat vorkommen können, grau und verwurstelt, feucht, widerlich, dann sagt er:

«Das ist eine lange Geschichte –»

Bald erinnert er sich selber nicht mehr!

«Damit geben Sie also zu», sagt der Kommissar: «dass Sie nicht Bernauer heißen, sondern Schinz – Heinrich Gottlieb, Rechtsanwalt?»

«Ja.»

 

15 Schinz schneuzt sich; (сморкается) es brauchte keine spiegelnde Fensterscheibe, (ему не нужна отражающая поверхность окна) damit er weiß, wie er aussieht! (чтобы знать, как он выглядит) Kein Geld für frische Hemden, (нет денег для свежих рубашек) einige Nächte in den Wartesälen dritter Klasse, (несколько ночей в залах ожидания третьего класса) Verlust der Bügelfalten, (утрата «стрелок» на брюках; die Falte – складка; bügeln – гладить /утюгом/) einige Nächte im Freien, (несколько ночей на улице) kein warmes Wasser, (без теплой воды) Seife von öffentlichen Aborten, (мыло из общественных туалетов) ein Mantel, der sozusagen zu deiner Wohnung geworden ist, (пальто, которое, так сказать, стало твоей квартирой) und das Kostüm eines Verdächtigen ist da. (и костюм подозреваемого налицо) Verlasse dich nicht auf dein Gesicht, (не полагайся на лицо) auf die Züge deines Gesichtes! (на черты твоего лица) Vergiss den Rosenkavalier, (забудь Кавалера роз) vergiss den Kunstverein, (забудь союз искусств) vergiss die Denkmalpflege; (забудь охрану памятников) Kenntnisse dienen nur noch dazu, (знания нужны для того) dich restlos verdächtig zu machen. (чтобы сделать тебя полностью подозреваемым; der Rest – остаток) Ein Mann wie du, der ein Haus hat und einen Wagen, (человек как ты, у которого есть дом и машина) warum hast du deine Stadt verlassen? (почему ты покинул свой город?) Warum hast du es nötig, Bernauer zu heißen?...(зачем тебе нужно называться Бернауером) Das Protokoll, (протокол) das erste von vielen kommenden, (первый из многих последующих) kannst du unterzeichnen, (ты можешь подписать) wenn es fertig ist; es sind da noch einige Fragen. (когда он будет готов, будут еще вопросы) «Herr Doktor», sagt der Kommissar, das noch bescheidene Dossier öffnend, (который открывает пока еще скромное дело /папку/) und sein Ton, wenn er Doktor sagt, ist nicht etwa höhnisch, (и его тон не издевательский; der Hohn – насмешка, издевательство) sondern durchaus achtungsvoll, (а вполне почтительный) da der gewöhnliche Landstreicher (так как обычный бродяга) nun entlarvt ist als ernsthafter Fund: (оказался серьезной находкой; die Larve – личина; entlarven – изобличать) «Sie haben Verbindungen zu einem gewissen Becker?» (Вы знакомы: «имеете связи» с некто Беккером) Schinz stutzt. (Шинц остолбенел) «Becker, Alexis, Emigrant.» Schinz schweigt. «Ja oder nein?» Schinz schweigt.

«Bitte», lächelt der Kommissar: «vielleicht erinnern Sie sich, wenn ich Ihnen das Bild zeige –.» (может быть, Вы вспомните, когда я покажу Вам фотографию) Schinz hat das Gefühl, rot zu werden. (Шинц чувствует, как краснеет) «Das Bild ist allerdings alt», (фотография, впрочем, старая) sagt der Kommissar: «Ihr Freund trägt keinen Schnurrbart mehr, so viel wir wissen.» (Ваш друг не носит теперь усы, насколько нам известно) Schinz schweigt (молчит). «Ich will Sie nicht überrumpeln, (я не хочу Вас застать врасплох) Herr Doktor, Sie werden Zeit genug haben, sich alles zu überlegen», (у Вас будет время, чтобы подумать) sagt der Kommissar mit dem fast kollegialen Ton von Todfeinden, (говорит комиссар почти товарищеским тоном смертельного врага) die ihre Spielregeln kennen: (которые знают свои правила игры) «Ferner kennen Sie sehr wahrscheinlich einen gewissen Marini...» (далее = кроме того, очень даже может быть, что Вы знаете некто Марини) «Marini?»

«Francesco Marini.» «Nein. –»

«Oder Stepanow.» «Stepanow?»

«Ossip Stepanow.» «Nein!»

«Oder Espinel.» «Nein!» sagt Schinz. «Roderigo Espinel.» «Nein!» sagt Schinz.

«Seine Namen tun nichts zur Sache», (его имена не имеют отношения к делу) sagt der Kommissar: «Aber wenn Sie ihn kennen, erinnern Sie sich an sein Gesicht (вспомните его лицо) ein sehr markantes Gesicht, (очень характерное лицо) das hat noch keiner vergessen, der ihn einmal gesehen hat.» (его /лицо/ еще никто не забывал, кто видел его /этого человека/ хотя бы раз) Und damit gibt er das Foto: «Ein fertiger Christuskopf!» (ну совершенно, прямо-таки: «готовая» голова Христа) Schinz erbleicht... (Шинц бледнеет) «Sie erinnern sich, Herr Doktor?» Schinz hält das Foto: der Förster, der Lodenmantel – Man will mich wahnsinnig machen, (они хотят свести меня с ума) denkt er, man will mich wahnsinnig machen! – Er steht in dem Lodenmantel, ein Förster am Sonntag, der sich vor seine Stämme stellt (который встал перед деревьями: «стволами») und eine Aufnahme machen lässt, (и попросил его сфотографировать) etwas verlegen, (немного смущенно) ein schlechtes Foto, aber deutlich, (отчетливое) ein dilettantisches Foto. Schinz legt es auf den Tisch zurück, unwillkürlich (непроизвольно) und etwas rasch, so, als verbrenne es seine Finger (как будто оно обжигает его пальцы) oder als wäre es schwer wie ein Stein... (или как будто оно тяжелое, как камень) Der Kommissar hat sich unterdessen eine Zigarette genommen, (тем временем взял сигарету) zündet an; (закуривает: «зажигает») jetzt sagt er: «Kennen Sie den Menschen?» (Вы знаете человека?)

 

15 Schinz schneuzt sich; es brauchte keine spiegelnde Fenster scheibe, damit er weiß, wie er aussieht! Kein Geld für frische Hemden, einige Nächte in den Wartesälen dritter Klasse, Verlust der Bügelfalten, einige Nächte im Freien, kein warmes Wasser, Seife von öffentlichen Aborten, ein Mantel, der sozusagen zu deiner Wohnung geworden ist, und das Kostüm eines Verdächtigen ist da. Verlasse dich nicht auf dein Gesicht, auf die Züge deines Gesichtes! Vergiss den Rosenkavalier, vergiss den Kunstverein, vergiss die Denkmalpflege; Kenntnisse dienen nur noch dazu, dich restlos verdächtig zu machen. Ein Mann wie du, der ein Haus hat und einen Wagen, warum hast du deine Stadt verlassen? Warum hast du es nötig, Bernauer zu heißen?... Das Protokoll, das erste von vielen kommenden, kannst du unterzeichnen, wenn es fertig ist; es sind da noch einige Fragen.

«Herr Doktor», sagt der Kommissar, das noch bescheidene Dossier öffnend, und sein Ton, wenn er Doktor sagt, ist nicht etwa höhnisch, sondern durchaus achtungsvoll, da der gewöhnliche Landstreicher nun entlarvt ist als ernsthafter Fund: «Sie haben Verbindungen zu einem gewissen Becker?»

Schinz stutzt.

«Becker, Alexis, Emigrant.»

Schinz schweigt.

«Ja oder nein?»

Schinz schweigt.

«Bitte», lächelt der Kommissar: «vielleicht erinnern Sie sich, wenn ich Ihnen das Bild zeige –.»

Schinz hat das Gefühl, rot zu werden.

«Das Bild ist allerdings alt», sagt der Kommissar: «Ihr Freund trägt keinen Schnurrbart mehr, so viel wir wissen.»

Schinz schweigt.

«Ich will Sie nicht überrumpeln, Herr Doktor, Sie werden Zeit genug haben, sich alles zu überlegen», sagt der Kommissar mit dem fast kollegialen Ton von Todfeinden, die ihre Spielregeln kennen: «Ferner kennen Sie sehr wahrscheinlich einen gewissen Marini...»

«Marini?»

«Francesco Marini.»

«Nein. –»

«Oder Stepanow.»

«Stepanow?»

«Ossip Stepanow.»

«Nein!»

«Oder Espinel.»

«Nein!» sagt Schinz.

«Roderigo Espinel.»

«Nein!» sagt Schinz.

«Seine Namen tun nichts zur Sache», sagt der Kommissar:

«Aber wenn Sie ihn kennen, erinnern Sie sich an sein Gesicht – ein sehr markantes Gesicht, das hat noch keiner vergessen, der ihn einmal gesehen hat.»

Und damit gibt er das Foto:

«Ein fertiger Christuskopf!»

Schinz erbleicht...

«Sie erinnern sich, Herr Doktor?»

Schinz hält das Foto: der Förster, der Lodenmantel – Man will mich wahnsinnig machen, denkt er, man will mich wahnsinnig machen! – Er steht in dem Lodenmantel, ein Förster am Sonntag, der sich vor seine Stämme stellt und eine Aufnahme machen lässt, etwas verlegen, ein schlechtes Foto, aber deutlich, ein dilettantisches Foto. Schinz legt es auf den Tisch zurück, unwillkürlich und etwas rasch, so, als verbrenne es seine Finger oder als wäre es schwer wie ein Stein... Der Kommissar hat sich unterdessen eine Zigarette genommen, zündet an; jetzt sagt er: «Kennen Sie den Menschen?»

 

16 Die Zelle, die Schinz bekommt, (камера, которую получил Шинц) ist ganz ordentlich. (очень даже приличная) Sie hat sogar Sonne, (есть даже солнце) ein etwas hochgelegenes Fenster, (окно, расположенное немного высоковато) so dass man nichts von der Welt sieht, (так что не видно, что происходит на улице) nur einen Kamin, (только камин) nämlich wenn Schinz auf seiner Pritsche steht. (если Шинц стоит на своей кушетке) Die Pritsche ist hart, aber sauber, nicht unwürdig. (кушетка (нары) жесткая, но чистая, вполне достойная; würdig – достойный) Drei Uhr mittags verschwindet die Sonne; (в три часа дня солнце уходит) kurz danach hört man eine Turmuhr. (вскоре после этого слышны часы башни) Schinz findet es schon viel, (Шинц считает, что это уже немало = неплохо) dass er nicht gegen eine Mauer sieht, (что он сидит не напротив стены) womöglich noch eine Schattenmauer, (и не, чего доброго, напротив теневой стены; womöglich – возможно, чего доброго) sondern gegen den Himmel. (а напротив неба) Seine Zelle ist offenbar im obersten Stockwerk; (очевидно, на самом верхнем этаже) jedenfalls (во всяком случае) hört man oft das Geflatter der Tauben, (часто слышно порхание голубей; flattern – порхать) hin und wieder (иногда, временами) schwirrt eine vor dem Gitter vorbei. (пролетает (голубь) перед решеткой) Manchmal ist Schinz ganz heiter: (иногда Шинцу совсем весело) Man muss halt nicht über die Grenze schleichen! (нельзя же переползать через границу) sagt er sich. Die Zelle ist klein; es erinnert ihn an das bekannte Kloster in Fiesole. (он вспоминает знакомый монастырь во Физоле) Überhaupt die Erinnerungen! (и вообще, воспоминания) Seine erste Angst, als er an dieser Stelle sitzt: (его первый страх, когда он оказался на этом месте) Jetzt nicht den Glauben an deine Unschuld verlieren! (только сейчас не терять веру в свою невиновность) Das Foto mit dem Förster, sagt er sich, ist eine Hysterie gewesen; er hat es ja kaum wirklich betrachtet; (в действительности, он едва рассмотрел его) er ist erschrocken und hat es weggelegt. (он испуган = испугался и положил его назад) Erschrocken über einen Lodenmantel, (испугался непромокаемого плаща) wie es Tausende gibt! (которых тысячи) Das Gesicht, (лицо) sagt Schinz sich mit Recht, (говорит себе Шинц справедливо /замечает/) hat er damals gar nicht so deutlich gesehen; (он тогда видел вовсе не столь четко) es war ja schon Dämmerung, (были уже сумерки) dann sogar Nacht. (затем вообще ночь) Lass dich nicht irrsinnig machen! (не позволяй, чтобы они свели тебя с ума) Und wenn schon, (а если даже) denkt er ein anderes Mal, (подумает он другой раз = затем) wenn er es wirklich gewesen wäre: (если бы это было по-настоящему) was habe ich verbrochen? (что я нарушил, какое преступление совершил) Ich habe ihn gesehen, (я его видел) gut, ich habe mit ihm geplaudert, (я болтал с ним) gut, vor allem hat er geplaudert. (больше даже: «прежде всего» он болтал) Was weiter? (что дальше) sagt Schinz, indem er (в то время как он) plötzlich (вдруг) in seinem Hin und Her (в своем хождении туда-сюда) wieder stehen bleibt: (снова останавливается) Was geht dieser Marini mich an (какое мне дело до этого Марини, какое отношение он ко мне имеет) oder dieser Stepanow oder wie er heißt? (или этот Степанов или как его там зовут) Dann legt er sich auf die Pritsche: Man will mich irrsinnig machen, sagt er sich ziemlich gelassen, (говорит он себе довольно спокойно) man will mich irrsinnig machen. Draußen hört man das Gackern von Hühnern. (кудахтанье куриц) Irgendwie schön. (как-то = в общем-то чудно) Ein Fenster voll Himmel; (окно, полное неба) das Gitter davor ist nicht so schlimm; (решетка перед ним не так уж плоха) Schinz hat ja keine Absicht, (Шинц не собирается, «не имеет намерения») hinunterzuspringen in den Tod («бросаться вниз в смерть») oder hinauszufliegen über die Kamine. («или вылететь наружу через камины») Einmal, denkt er, wird ein Gericht stattfinden. (однажды, думает он, состоится суд) Hin und wieder hört man auch das Hupen von Wagen, (сигналы автомобилей) aber ziemlich ferne; (но довольно далеко) jenseits von Bäumen, (по ту сторону деревьев) jenseits eines Hofes oder so. (по ту сторону двора или еще где-то там) Das ganze Gebäude, (все здание) wer weiß, (кто знает) war vielleicht einmal ein Kloster; (может быть, был однажды монастырем) Schinz hat auf seinen Reisen so viele alte Klöster besucht, (в своих путешествиях повидал так много старых монастырей) sich manchmal vorzustellen versucht: (иногда пытался представить себе) Wenn du in einer solchen Zelle leben müsstest? (а если бы ты должен был бы жить в такой келье?) und dann ist Bimba gekommen, (потом пришла Бимба) begeistert von einem Kreuzgang, (воодушевленная крытой галереей вокруг монастыря) man ist hinuntergegangen, (сходили туда вниз) hat Fresken bewundert, (любовались фресками) langsam ist man hinausgegangen, (медленно вышли наружу) Sonne auf einer Piazza, (солнечно на площади) gegenüber ein kleines Ristorante. (напротив маленький ресторанчик) Die Fresken: Sebastiano mit den Pfeilen im Leib, (Себастиано со стрелами в теле) ein Kindermord zu Bethlehem, (убиение младенцев в Вифлееме) ein Christophorus, die drei bekannten Kreuze auf Golgatha, (три известных креста Голгофы) viel bittere Geschichten, (много горьких историй) aber schön. (но красиво) Wölfflin fällt ihm ein! (ему вспоминается, приходит на ум Вёльфлин /историк и теоретик искусства/) Und so weiter. (и так далее) Zum Glück sind die Kinder schon groß. (к счастью, дети уже выросли) Manchmal steht Schinz einfach an der Wand, die Arme an der Wand, den Kopf in den Armen, so dass er nichts sieht; mit offenen Augen. (иногда Шинц просто стоит у стены, руки на стене, голова на руках, так, чтобы ничего не видеть) Der Himmel ist zum Verzweifeln. (/видеть/ небо невозможно – можно впасть в отчаянье)) Schlafen geht nicht. (и не спится) Träume machen alles somaßlos. (сны делают все таким безмерным; das Maß – мера) EinmaI wird das Essen kommen. (как-нибудь принесут еду) Dann wird es sich zeigen! (тогда это станет видно; zeigen – показывать) ob es Gendarmen sind oder Wärterinnen, (это жандармы или надзирательницы, медсестры /сумасшедшего дома/) Gefängnis oder Irrenhaus. (тюрьма или сумасшедший дом) Das ist seine einzige Angst. (его единственный страх) Wenn du nirgends auf der Welt ein voller Zeuge mehr bist. (когда ты нигде на земле не можешь быть (полным) настоящим свидетелем) Als sie kommen, (когда они приходят) die Schritte, (шаги) nimmt er den Kopf nicht von der Wand; (он не отворачивается от стены) die Türe geht auf, (дверь отворяется) Schinz bleibt so, die Türe geht zu. (дверь затворяется) Schinz schaut: (Шинц смотрит) ein Geschirr ist da, ein blechernes, aber sauber, (появилась посуда, жестяная, но чистая) Kartoffelsuppe und Brot, ein etwas komisches Gefäß mit frischem Wasser... (немного странный сосуд со свежей водой) Wochen wie Jahre, Jahre wie Wochen, Verhöre, (допросы) die sich wörtlich wiederholen, (которые буквально повторяются) Namen, die Schinz nicht kennt, hin und wieder ist er durchdrungen vom Bewusstsein, (иногда он просто проникнут осознанием) dass alles nur ein Traum ist, (что все это всего лишь сон) aber das ändert nichts daran; (но это ничего не изменит) sooft er erwacht, (как только он просыпается) sieht er das Gitter vor dem Himmel, (он видит решетку перед небом) und jeden Morgen, wenn es grau wird, (и каждое утро, когда становится светло, «серо») hört er, wie die Hähne krähen (он слышит, как кричат петухи) –. Endlich ist es soweit. (наконец, /этот момент/ наступил)

 

16 Die Zelle, die Schinz bekommt, ist ganz ordentlich. Sie hat sogar Sonne, ein etwas hochgelegenes Fenster, so dass man nichts von der Welt sieht, nur einen Kamin, nämlich wenn Schinz auf seiner Pritsche steht. Die Pritsche ist hart, aber sauber, nicht unwürdig. Drei Uhr mittags verschwindet die Sonne; kurz danach hört man eine Turmuhr. Schinz findet es schon viel, dass er nicht gegen eine Mauer sieht, womöglich lloch eine Schattenmauer, sondern gegen den Himmel. Seine Zelle ist offenbar im obersten Stockwerk; jedenfalls hört man oft das Geflatter der Tauben, hin und wieder schwirrt eine vor dem Gitter vorbei. Manchmal ist Schinz ganz heiter: Man muss halt nicht über die Grenze schleichen! sagt er sich. Die Zelle ist klein; es erinnert ihn an das bekannte Kloster in Fiesole. Überhaupt die Erinnerungen! Seine erste Angst, als er an dieser Stelle sitzt: Jetzt nicht den Glauben an deine Unschuld verlieren! Das Foto mit dem Förster, sagt er sich, ist eine Hysterie gewesen; er hat es ja kaum wirklich betrachtet; er ist erschrocken und hat es weggelegt. Erschrocken über einen Lodenmantel, wie es Tausende gibt! Das Gesicht, sagt Schinz sich mit Recht, hat er damals gar nicht so deutlich gesehen; es war ja schon Dämmerung, dann sogar Nacht. Lass dich nicht irrsinnig machen! Und wenn schon, denkt er ein anderes Mal, wenn er es wirklich gewesen wäre: was habe ich verbrochen? Ich habe ihn gesehen, gut, ich habe mit ihm geplaudert, gut, vor allem hat er geplaudert. Was weiter? sagt Schinz, indem er plötzlich in seinem Hin und Her wieder stehen bleibt: Was geht dieser Marini mich an oder dieser Stepanow oder wie er heißt? Dann legt er sich auf die Pritsche: Man will mich irrsinnig machen, sagt er sich ziemlich gelassen, man will mich irrsinnig machen. Draußen hört man das Gackern von Hühnern. Irgendwie schön. Ein Fenster voll Himmel; das Gitter davor ist nicht so schlimm; Schinz hat ja keine Absicht, hinunterzuspringen in den Tod oder hinauszufliegen über die Kamine. Einmal, denkt er, wird ein Gericht stattfinden. Hin und wieder hört man auch das Hupen von Wagen, aber ziemlich ferne; jenseits von Bäumen, jenseits eines Hofes oder so. Das ganze Gebäude, wer weiß, war vielleicht einmal ein Kloster; Schinz hat auf seinen Reisen so viele alte Klöster besucht, sich manchmal vorzustellen versucht: Wenn du in einer solchen Zelle leben müsstest? und dann ist Bimba gekommen, begeistert von einem Kreuzgang, man ist hinuntergegangen, hat Fresken bewundert, langsam ist man hinausgegangen, Sonne auf einer Piazza, gegenüber ein kleines Ristorante. Die Fresken: Sebastiano mit den Pfeilen im Leib, ein Kindermord zu Bethlehem, ein Christophorus, die drei bekannten Kreuze auf Golgatha, viel bittere Geschichten, aber schön. Wölfflin fällt ihm ein! Und so weiter. Zum Glück sind die Kinder schon groß. Manchmal steht Schinz einfach an der Wand, die Arme an der Wand, den Kopf in den Armen, so dass er nichts sieht; mit offenen Augen. Der Himmel ist zum Verzweifeln. Schlafen geht nicht. Träume machen alles so maßlos. EinmaI wird das Essen kommen. Dann wird es sich zeigen! ob es Gendarmen sind oder Wärterinnen, Gefängnis oder Irrenhaus. Das ist seine einzige Angst. Wenn du nirgends auf der Welt ein voller Zeuge mehr bist. Als sie kommen, die Schritte, nimmt er den Kopf nicht von der Wand; die Türe geht auf, Schinz bleibt so, die Türe geht zu. Schinz schaut: ein Geschirr ist da, ein blechernes, aber sauber, Kartoffelsuppe und Brot, ein etwas komisches Gefäß mit frischem Wasser... Wochen wie Jahre, Jahre wie Wochen, Verhöre, die sich wörtlich wiederholen, Namen, die Schinz nicht kennt, hin und wieder ist er durchdrungen vom Bewusstsein, dass alles nur ein Traum ist, aber das ändert nichts daran; sooft er erwacht, sieht er das Gitter vor dem Himmel, und jeden Morgen, wenn es grau wird, hört er, wie die Hähne krähen –. Endlich ist es soweit.

 

17 Eines Tages (однажды) sieht sich Schinz, (Шинц видит себя) wie er es von Bildern kennt, (как он знает себя с фотографий) in Hemd und Hose und mit einem kleinen Strick um die Handgelenke. (в рубашке и брюках и с маленькой веревкой у запястья) Er ist nicht allein. (он не один) Sie stehen in einem Schulhaushof, (они стоят на школьном дворе) Kies, (гравий) die Kastanien blühen mit weißen und roten Kerzen. (каштаны цветут белыми и красными свечками) Stunden ohne Ahnung. (часы без осознания, понимания: «предчувствия») Die Soldaten, die sie bewachen, (солдаты, которые их охраняют) tragen eine Uniform, («носят униформу» = в униформе) die Schinz noch nie gesehen hat; (которую Шинц еще никогда не видел) die Historie, (история) scheint es, (кажется) hat sich wieder einmal gewendet, (снова повернула вспять) die Mützen sind anders, (другие шапки) der Schnitt der Hosen, (покрой брюк) anders ist auch die Art, (также другая манера) das Gewehr zu tragen. (носить ружье) Es ist schon ziemlich hell, (уже довольно светло) aber vor Sonnenaufgang. (но перед восходом солнца) Was Schinz, (что Шинца) übrigens der einzige Deutschsprechende in seiner Gruppe, (кстати, единственного говорящего по-немецки в группе) mehr beschäftigt als die unbekannten Uniformen, (больше занимает, чем незнакомые униформы) ist der kleine Hühnerhof des Hauswartes, (так это маленький курятник дворника) wo er zum ersten Male die beiden bekannten Hähne sieht, (где он впервые видит двух знакомых петухов) die er jeden Morgen gehört hat! (которых он слушал каждое утро) noch haben sie nicht gekräht... (но они еще не прокукарекали) Auf der Treppe der Turnhalle erscheint ein Mann ohne Uniform, (на лестнице спортивного зала появляется человек без униформы) ein ziemlich junger Bursche, (довольно молодой парень) der eine Armbinde trägt; (который носит нарукавную повязку) eine Liste verlesend: (зачитывая список) «Stepanow, Ossip.» «Hier.»

«Becker, Alexis.» «Hier.»

«Schinz, Heinrich Gottlieb.» «Hier.»

Die übrigen blicken auf den Kies. (остальные смотрят в землю, «в гравий») Je ein Soldat führt die eben Gerufenen aus ihrer Gruppe. (солдаты по одному выводят названных из группы = каждый выводится другим солдатом) Hinüber in die Turnhalle, (по ту сторону в спортивном зале) die immer noch, (который уже) obschon es tagt, (хотя уже светает) hell erleuchtet ist. (ярко освещен) Natürlich wird nicht gekreuzigt, (конечно, здесь не распинают на кресте: das Kreuz) sondern erhängt. (а вешают) Die Vorrichtung ist lächerlich einfach, (приспособление простое до смешного) fast schulbubenhaft; (почти ребяческое, der Schulbube – школьник) drei Ringseile sind heruntergelassen, (спущены три троса) daran je ein ziemlich dünner Strick mit einer Schlaufe. (на каждом по одной довольно тонкой веревке с петлей) Darunter (под ними) je ein flüchtig genagelter Holzblock mit drei Stufen. (наспех сколоченная деревянная колода с тремя ступенями) Schinz denkt: Das kann aber nicht euer Ernst sein! (это не может быть серьезно: «вашим серьезом») ohne sich jedoch eine Hoffnung zu machen, (не надеясь, однако) dass es deswegen nicht stattfinden werde. (что это по этой причине не состоится) Auch darüber ist Schinz sich klar, (Шинцу понятно также и то) dass er nie mehr erfahren wird, (что он никогда не узнает) worin sein Verbrechen eigentlich bestanden hat. (в чем, собственно, состояло его преступление) Irgendwie spielt es wirklich keine Rolle; (как-то = в общем-то это сейчас уже действительно не играет никакой роли) so weit ist er schon gekommen. (настолько далеко он зашел) Wieder vergeht eine Weile. (снова проходит какое-то время) Die drei Gerufenen sind so gestellt, (троих вызванных ставят так) dass sie sich den Rücken zuwenden, (что они оказываются спиной друг к другу; zuwenden – поворачивать, обращать) einander nicht sprechen und nicht sehen können. (не могут разговаривать и видеть друг друга) Schinz sieht einen Tisch, (Шинц видит стол) gemacht aus zwei Hürden und einem Brett, (сделанный из двух «барьеров» = ножек и одной доски) darauf ein Eisenstab, (на нем металлический прут) zwei Handschuhe, (две перчатки) wie die Schweißer sie haben, (как у сварщиков) drei kleine Schnappzangen, (три пары клещей, schnappen – схватывать) ein Bunsenbrenner, (одна бунзеновская горелка) ein vielfach verglühter Draht, (многократно накаленный прут) das genügt, (этого достаточно) damit lässt sich foltern, so viel man nur will. (этим можно пытать, сколько хочешь) Eine Uniform spricht mit einer Art von Arzt, (этот в униформе разговаривает с кем-то вроде врача) der mehrmals die Achseln zuckt. (который многократно пожимает плечами) Dann, da die beiden offenbar zu keinem Ende kommen, (так как эти оба, очевидно, никак не договорятся) wendet sich die Uniform, (оборачивается этот в униформе) drei Fotos in der Hand; (три фотографии в руке) jeder wird nochmals mit seinem Foto verglichen. (каждого еще раз сравнивают с фотографией: vergleichen) Dann kommt der junge Bursche mit der Armbinde, (потом подходит молодой парень с повязкой на руке) weist ihnen die Plätze an. (указывает им их места) Links Becker, Stepanow in der Mitte, rechts Schinz. Die Schlaufe sollen sie sich selber um den Hals legen (петлю они должны сами на себя надеть) es ist wirklich der Förster. (это правда лесничий) Er sagt: «Warum haben Sie mich verraten?» (почему Вы меня предали?) Schinz hat keine Stimme. (У Шинца нет голоса) «Warum haben Sie mich verraten?» Der Förster hilft ihm, vorwurfslos, (без упрека: der Vorwurf) so wie er dem armen Becker schon geholfen hat, (как он уже помог однажды бедному Беккеру) so, als wäre er schon unzählige Male gehängt worden, (так, как будто его уже вешали бесчисленное количество раз) er selber. (его самого) Schinz schaut ihn an und sagt: «Ich verstehe kein Wort.» Der Förster lächelt. (улыбается) «Ich habe Sie nicht angesprochen, (Я не заговаривал с Вами) Herr Doktor, Sie haben mich angesprochen, (Вы сами начали со мной разговаривать) Sie haben mich nach dem Weg gefragt –.» (Вы спросили у меня дорогу) «Nein», sagt Schinz. «Tragen wir es.» (понесем мы это = давайте смотреть правде в глаза) Da, sein Christus-Gesicht vor Augen, kann Schinz es nicht ertragen, (Шинц не может этого вынести) schreit, (кричит) als könne er daran erwachen, (как будто бы он может проснуться из-за этого) schreit, wie ein Mensch nur schreien kann, (кричит, как только может кричать человек) schreit: «Nein! Nein! Nein!» Das ist das letzte Mal gewesen, (это был последний раз) dass Schinz seine eigene Stimme gehört hat (когда Шинц слышал свой голос) Erwacht, (проснулся) schweißüberströmt, (весь в поту) die eigene Hand an seinem Hals, (собственная рука на своей шее) der unversehrt ist, (которая в целости и сохранности) merkt er es nicht sogleich, (не сразу замечает) Bimba streicht ihm die Stirne, (Бимба гладит ему лоб) Bimba ist alt, Bimba lächelt, der Arzt steht am Fußende des Bettes, (у кровати стоит врач) Bimba bewegt die Lippen, (Бимба шевелит губами) aber sie sagt kein Wort, (но не говорит ни слова) auch der Arzt bewegt die Lippen, (врач тоже шевелит губами) aber niemand sagt ein Wort. (но никто не говорит ни слова) Schinz ist taub. (Шинц глухой) Als er es weiß, (когда он это понял) schließt er die Augen; (закрывает глаза) als müsste, wenn er sie dann abermals aufmacht, (словно должно, когда он их откроет следующий раз) alles verändert sein. (/как будто должно/ все измениться) Nichts ist verändert, (ничего не изменилось) sie bewegen die Lippen. (они шевелят губами) Als er es sagen will, (когда он хочет это сказать) dass er sie nicht mehr hören kann, (что он больше не слышит) merkt er, dass er auch stumm ist. (он замечает, что он немой) Schinz hat nach diesem Ereignis noch sieben Jahre gelebt, (жил после этого события еще семь лет) ohne seine Vaterstadt zu verlassen. (не покидая своего родного города) Mit dreiundsechzig Jahren stirbt er eines natürlichen Todes. (умер естественной смертью) Und nicht ohne Ansehen. (и не без внимания/почета) Sein sonderbarer Fauxpas ist zwar nicht vergessen worden, (хотя его оплошность не забыли) aber verziehen; (но простили: verzeihen) man hat den taubstummen Herrn auch auf der Straße immer zuvorkommend begrüßt; (глухонемого господина на улице всегда приветствовали уважительно: «предупредительно») die Außenwelt, (внешний мир) ausgenommen Bimba, (за исключением Бимбы) hat das Ganze, wie schon gesagt, (как уже было сказано) durchaus als einen klinischen Fall betrachtet, (рассматривали исключительно как клинический случай) aufsehenerregend auch so, (сенсационно; das Aufsehen erregen – возбуждать общественное внимание, общественный интерес) erschütternd auch so, (потрясающе) aber für die Außenwelt ohne jede Folge. («но для внешнего мира без каких-либо последствий»)

 

17 Eines Tages sieht sich Schinz, wie er es von Bildern kennt, in Hemd und Hose und mit einem kleinen Strick um die Handgelenke. Er ist nicht allein. Sie stehen in einem Schulhaushof, Kies, die Kastanien blühen mit weißen und roten Kerzen. Stunden ohne Ahnung. Die Soldaten, die sie bewachen, tragen eine Uniform, die Schinz noch nie gesehen hat; die Historie, scheint es, hat sich wieder einmal gewendet, die Mützen sind anders, der Schnitt der Hosen, anders ist auch die Art, das Gewehr zu tragen. Es ist schon ziemlich hell, aber vor Sonnenaufgang. Was Schinz, übrigens der einzige Deutschsprechende in seiner Gruppe, mehr beschäftigt als die unbekannten Uniformen, ist der kleine Hühnerhof des Hauswartes, wo er zum ersten Male die beiden bekannten Hähne sieht, die er jeden Morgen gehört hat! noch haben sie nicht gekräht... Auf der Treppe der Turnhalle erscheint ein Mann ohne Uniform, ein ziemlich junger Bursche, der eine Armbinde trägt; eine Liste verlesend:

«Stepanow, Ossip.»

«Hier.»

«Becker, Alexis.»

«Hier.»

«Schinz, Heinrich Gottlieb.»

«Hier.»

Die übrigen blicken auf den Kies. Je ein Soldat führt die eben Gerufenen aus ihrer Gruppe. Hinüber in die Turnhalle, die immer noch, obschon es tagt, hell erleuchtet ist. Natürlich wird nicht gekreuzigt, sondern erhängt. Die Vorrichtung ist lächerlich einfach, fast schulbubenhaft; drei Ringseile sind heruntergelassen, daran je ein ziemlich dünner Strick mit einer Schlaufe. Darunter je ein flüchtig genagelter Holzblock mit drei Stufen. Schinz denkt: Das kann aber nicht euer Ernst sein! ohne sich jedoch eine Hoffnung zu machen, dass es deswegen nicht stattfinden werde. Auch darüber ist Schinz sich klar, dass er nie mehr erfahren wird, worin sein Verbrechen eigentlich bestanden hat. Irgendwie spielt es wirklich keine Rolle; so weit ist er schon gekommen. Wieder vergeht eine Weile. Die drei Gerufenen sind so gestellt, dass sie sich den Rücken zuwenden, einander nicht sprechen und nicht sehen können. Schinz sieht einen Tisch, gemacht aus zwei Hürden und einem Brett, darauf ein Eisenstab, zwei Handschuhe, wie die Schweißer sie haben, drei kleine Schnappzangen, ein Bunsenbrenner, ein vielfach verglühter Draht, das genügt, damit lässt sich foltern, so viel man nur will. Eine Uniform spricht mit einer Art von Arzt, der mehrmals die Achseln zuckt. Dann, da die bei den offenbar zu keinem Ende kommen, wendet sich die Uniform, drei Fotos in der Hand; jeder wird nochmals mit seinem Foto verglichen. Dann kommt der junge Bursche mit der Armbinde, weist ihnen die Plätze an. Links Becker, Stepanow in der Mitte, rechts Schinz. Die Schlaufe sollen sie sich selber um den Hals legen – es ist wirklich der Förster. Er sagt:

«Warum haben Sie mich verraten?»

Schinz hat keine Stimme.

«Warum haben Sie mich verraten?»

Der Förster hilft ihm, vorwurfslos, so wie er dem armen Becker schon geholfen hat, so, als wäre er schon unzählige Male gehängt worden, er selber. Schinz schaut ihn an und sagt:

«Ich verstehe kein Wort.»

Der Förster lächelt.

«Ich habe Sie nicht angesprochen, Herr Doktor, Sie haben mich angesprochen, Sie haben mich nach dem Weg gefragt –.»

«Nein», sagt Schinz. «Tragen wir es.»

Da, sein Christus-Gesicht vor Augen, kann Schinz es nicht ertragen, schreit, als könne er daran erwachen, schreit, wie ein Mensch nur schreien kann, schreit: «Nein! Nein! Nein!»

Das ist das letzte Mal gewesen, dass Schinz seine eigene Stimme gehört hat – – – Erwacht, schweißüberströmt, die eigene Hand an seinem Hals, der unversehrt ist, merkt er es nicht sogleich, Bimba streicht ihm die Stirne, Bimba ist alt, Bimba lächelt, der Arzt steht am Fußende des Bettes, Bimba bewegt die Lippen, aber sie sagt kein Wort, auch der Arzt bewegt die Lippen, aber niemand sagt ein Wort. Schinz ist taub. Als er es weiß, schließt er die Augen; als müsste, wenn er sie dann abermals aufmacht, alles verändert sein. Nichts ist verändert, sie bewegen die Lippen. Als er es sagen will, dass er sie nicht mehr hören kann, merkt er, dass er auch stumm ist.

Schinz hat nach diesem Ereignis noch sieben Jahre gelebt, ohne seine Vaterstadt zu verlassen. Mit dreiundsechzig Jahren stirbt er eines natürlichen Todes. Und nicht ohne Ansehen. Sein sonderbarer Fauxpas ist zwar nicht vergessen worden, aber verziehen; man hat den taubstummen Herrn auch auf der Straße immer zuvorkommend begrüßt; die Außenwelt, ausgenommen Bimba, hat das Ganze, wie schon gesagt, durchaus als einen klinischen Fall betrachtet, aufsehenerregend auch so, erschütternd auch so, aber für die Außenwelt ohne jede Folge.

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