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Vierter und letzter Theil




Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und was in der Weit stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?

Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem Mitleiden ist!

Also sprach der Teufel einst zu mir:»auch Gott hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen.«

Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen:»Gott ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.«

Zarathustra, Von den Mitleidigen

Das Honig-Opfer

– Und wieder liefen Monde und Jahre über Zarathustra's Seele, und er achtete dessen nicht; sein Haar aber wurde weiss. Eines Tages, als er auf einem Steine vor seiner Höhle sass und still hinausschaute, – man schaut aber dort auf das Meer hinaus, und hinweg über gewundene Abgründe – da giengen seine Thiere nachdenklich um ihn herum und stellten sich endlich vor ihn hin.

»Oh Zarathustra, sagten sie, schaust du wohl aus nach deinem Glücke?«–»Was liegt am Glücke! antwortete er, ich trachte lange nicht mehr nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke.«–»Oh Zarathustra, redeten die Thiere abermals, Das sagst du als Einer, der des Guten übergenug hat. Liegst du nicht in einem himmelblauen See von Glück?«– Ihr Schalks-Narren, antwortete Zarathustra und lächelte, wie gut wähltet ihr das Gleichniss! Aber ihr wisst auch, dass mein Glück schwer ist und nicht wie eine flüssige Wasserwelle: es drängt mich und will nicht von mir und thut gleich geschmolzenem Peche.«–

Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn herum und stellten sich dann abermals vor ihn hin.»Oh Zarathustra, sagten sie, daher also kommt es, dass du selber immer gelber und dunkler wirst, obschon dein Haar weiss und flächsern aussehen will? Siehe doch, du sitzest in deinem Peche!«– Was sagt ihr da, meine Thiere, sagte Zarathustra und lachte dazu, wahrlich, ich lästerte als ich von Peche sprach. Wie mir geschieht, so geht es allen Früchten, die reif werden. Es ist der Honig in meinen Adern, der mein Blut dicker und auch meine Seele stiller macht.«–»So wird es sein, oh Zarathustra, antworteten die Thiere und drängten sich an ihn; willst du aber nicht heute auf einen hohen Berg steigen? Die Luft ist rein, und man sieht heute mehr von der Welt als jemals.«–»Ja, meine Thiere, antwortete er, ihr rathet trefflich und mir nach dem Herzen: ich will heute auf einen hohen Berg steigen! Aber sorgt, dass dort Honig mir zur Hand sei, gelber, weisser, guter, eisfrischer Waben-Goldhonig. Denn wisset, ich will droben das Honig-Opfer bringen.«–

Als Zarathustra aber oben auf der Höhe war, sandte er die Thiere heim, die ihn geleitet hatten, und fand, dass er nunmehr allein sei: – da lachte er aus ganzem Herzen, sah sich um und sprach also:

Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern, eine List war's nur meiner Rede und, wahrlich, eine nützliche Thorheit! Hier oben darf ich schon freier reden, als vor Einsiedler-Höhlen und Einsiedler-Hausthieren.

Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender mit tausend Händen: wie dürfte ich Das noch – Opfern heissen!

Und als ich nach Honig begehrte, begehrte ich nur nach Köder und süssem Seime und Schleime, nach dem auch Brummbären und wunderliche mürrische böse Vögel die Zunge lecken:

– nach dem besten Köder, wie er Jägern und Fischfängern noththut. Denn wenn die Welt wie ein dunkler Thierwald ist und aller wilden Jäger Lustgarten, so dünkt sie mich noch mehr und lieber ein abgründliches reiches Meer,

– ein Meer voll bunter Fische und Krebse, nach dem es auch Götter gelüsten möchte, dass sie an ihm zu Fischern würden und zu Netz-Auswerfern: so reich ist die Welt an Wunderlichem, grossem und kleinem!

Sonderlich die Menschen-Welt, das Menschen-Meer: – nach dem werfe ich nun meine goldene Angelruthe aus und spreche: thue dich auf, du Menschen-Abgrund!

Thue dich auf und wirf mir deine Fische und Glitzer-Krebse zu! Mit meinem besten Köder ködere ich mir heute die wunderlichsten Menschen-Fische!

– mein Glück selber werfe ich hinaus in alle Weiten und Fernen, zwischen Aufgang, Mittag und Niedergang, ob nicht an meinem Glücke viele Menschen-Fische zerrn und zappeln lernen.

Bis sie, anbeissend an meine spitzen verborgenen Haken, hinauf müssen in meine Höhe, die buntesten Abgrund-Gründlinge zu dem boshaftigsten aller Menschen- Fischfänger.

Der nämlich bin ich von Grund und Anbeginn, ziehend, heranziehend, hinaufziehend, aufziehend, ein Zieher, Züchter und Zuchtmeister, der sich nicht umsonst einstmals zusprach:»Werde, der du bist!«

Also mögen nunmehr die Menschen zu mir hinauf kommen: denn noch warte ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange, noch gehe ich selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen.

Dazu warte ich hier, listig und spöttisch auf hohen Bergen, kein Ungeduldiger, kein Geduldiger, vielmehr Einer, der auch die Geduld verlernt hat, – weil er nicht mehr»duldet.«

Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit: es vergass mich wohl? Oder sitzt es hinter einem grossen Steine im Schatten und fängt Fliegen?

Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem ewigen Schicksale, dass es mich nicht hetzt und drängt und mir Zeit zu Possen lässt und Bosheiten: also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen hohen Berg stieg.

Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen Fische? Und wenn es auch eine Thorheit ist, was ich hier oben will und treibe: besser noch Diess, als dass ich da unten feierlich würde vor Warten und grün und gelb –

– ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein heiliger Heule-Sturm aus Bergen, ein Ungeduldiger, der in die Thäler hinabruft:»Hört, oder ich peitsche euch mit der Geissel Gottes!«

Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde: zum Lachen sind sie mir gut genung! Ungeduldig müssen sie schon sein, diese grossen Lärmtrommeln, welche heute oder niemals zu Worte kommen!

Ich aber und mein Schicksal – wir reden nicht zum Heute, wir reden auch nicht zum Niemals: wir haben zum Reden schon Geduld und Zeit und Überzeit. Denn einst muss er doch kommen und darf nicht vorübergehn.

Wer muss einst kommen und darf nicht vorübergehn? Unser grosser Hazar, das ist unser grosses fernes Menschen-Reich, das Zarathustra-Reich von tausend Jahren – –

Wie ferne mag solches»Ferne«sein? was geht's mich an! Aber darum steht es mir doch nicht minder fest –, mit beiden Füssen stehe ich sicher auf diesem Grunde,

– auf einem ewigen Grunde, auf hartem Urgesteine, auf diesem höchsten härtesten Urgebirge, zu dem alle Winde kommen als zur Wetterscheide, fragend nach Wo? und Woher? und Wohinaus?

Hier lache, lache meine helle heile Bosheit! Von hohen Bergen wirf hinab dein glitzerndes Spott-Gelächter! Ködere mit deinem Glitzern mir die schönsten Menschen-Fische!

Und was in allen Meeren mir zugehört, mein An-und-für-mich in allen Dingen – Das fische mir heraus, Das führe zu mir herauf: dess warte ich, der boshaftigste aller Fischfänger.

Hinaus, hinaus, meine Angel! Hinein, hinab, Köder meines Glücks! Träufle deinen süssesten Thau, mein Herzens-Honig! Beisse, meine Angel, in den Bauch aller schwarzen Trübsal!

Hinaus, hinaus, mein Auge! Oh welche vielen Meere rings um mich, welch dämmernde Menschen-Zukünfte! Und über mir – welch rosenrothe Stille! Welch entwölktes Schweigen!

Der Nothschrei

Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der Höhle, während die Thiere draussen in der Welt herumschweiften, dass sie neue Nahrung heimbrächten, – auch neuen Honig: denn Zarathustra hatte den alten Honig bis auf das letzte Korn verthan und verschwendet. Als er aber dermaassen dasass, mit einem Stecken in der Hand, und den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete, nachdenkend und, wahrlich! nicht über sich und seinen Schatten – da erschrak er mit Einem Male und fuhr zusammen: denn er sahe neben seinem Schatten noch einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager neben ihm, der selbe, den er einstmals an seinem Tische gespeist und getränkt hatte, der Verkündiger der grossen Müdigkeit, welcher lehrte:»Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt.«Aber sein Antlitz hatte sich inzwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra in die Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt: so viel schlimme Verkündigungen und aschgraue Blitze liefen über diess Gesicht.

Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra's Seele zutrug, wischte mit der Hand über sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe wegwischen wollte; desgleichen that auch Zarathustra. Und als Beide dergestalt sich schweigend gefasst und gekräftigt hatten, gaben sie sich die Hände, zum Zeichen, dass sie sich wiedererkennen wollten.

»Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der grossen Müdigkeit, du sollst nicht umsonst einstmals mein Tisch- und Gastfreund gewesen sein. Iss und trink auch heute bei mir und vergieb es, dass ein vergnügter alter Mann mit dir zu Tische sitzt!«–»Ein vergnügter alter Mann? antwortete der Wahrsager, den Kopf schüttelnd: wer du aber auch bist oder sein willst, oh Zarathustra, du bist es zum Längsten hier Oben gewesen, – dein Nachen soll über Kurzem nicht mehr im Trocknen sitzen!«–»Sitze ich denn im Trocknen?«fragte Zarathustra lachend. –»Die Wellen um deinen Berg, antwortete der Wahrsager, steigen und steigen, die Wellen grosser Noth und Trübsal: die werden bald auch deinen Nachen heben und dich davontragen.«– Zarathustra schwieg hierauf und wunderte sich. –»Hörst du noch Nichts? fuhr der Wahrsager fort: rauscht und braust es nicht herauf aus der Tiefe?«– Zarathustra schwieg abermals und horchte: da hörte er einen langen, langen Schrei, welchen die Abgründe sich zuwarfen und weitergaben, denn keiner wollte ihn behalten: so böse klang er.

»Du schlimmer Verkündiger, sprach endlich Zarathustra, das ist ein Nothschrei und der Schrei eines Menschen, der mag wohl aus einem schwarzen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Noth an! Meine letzte Sünde, die mir aufgespart blieb, – weisst du wohl, wie sie heisst?«

–» Mitleiden! antwortete der Wahrsager aus einem überströmenden Herzen und hob beide Hände empor – oh Zarathustra, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sünde verführe!«–

Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei abermals, und länger und ängstlicher als vorher, auch schon viel näher.»Hörst du? Hörst du, oh Zarathustra? rief der Wahrsager, dir gilt der Schrei, dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es ist höchste Zeit!«–

Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschüttert; endlich fragte er, wie Einer, der bei sich selber zögert:»Und wer ist das, der dort mich ruft?«

»Aber du weisst es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst du dich? Der höhere Mensch ist es, der nach dir schreit!«

»Der höhere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will der? Was will der? Der höhere Mensch! Was will der hier?«– und seine Haut bedeckte sich mit Schweiss.

Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra's, sondern horchte und horchte nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange Zeit dort stille blieb, wandte er seinen Blick zurück und sahe Zarathustra stehn und zittern.

»Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da wie Einer, den sein Glück drehend macht: du wirst tanzen müssen, dass du mir nicht umfällst!

Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitensprünge springen: Niemand soll mir doch sagen dürfen:»Siehe, hier tanzt der letzte frohe Mensch!«

Umsonst käme Einer auf diese Höhe, der den hier suchte: Höhlen fände er wohl und Hinter-Höhlen, Verstecke für Versteckte, aber nicht Glücks-Schachte und Schatzkammern und neue Glücks-Goldadern.

Glück – wie fände man wohl das Glück bei solchen Vergrabenen und Einsiedlern! Muss ich das letzte Glück noch auf glückseligen Inseln suchen und ferne zwischen vergessenen Meeren?

Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es giebt auch keine glückseligen Inseln mehr!«– –

Also seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde Zarathustra wieder hell und sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen Schlunde an's Licht kommt.»Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit starker Stimme und strich sich den Bart – Das weiss ich besser! Es giebt noch glückselige Inseln! Stille davon, du seufzender Trauersack!

Höre davon auf zu plätschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich denn nicht schon da, nass von deiner Trübsal und begossen wie ein Hund?

Nun schüttle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken werde: dess darfst du nicht Wunder haben! Dünke ich dir unhöflich? Aber hier ist mein Hof.

Was aber deinen höheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs in jenen Wäldern: daher kam sein Schrei. Vielleicht bedrängt ihn da ein böses Thier.

Er ist in meinem Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden kommen! Und wahrlich, es giebt viele böse Thiere bei mir.«–

Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der Wahrsager:»Oh Zarathustra, du bist ein Schelm!

Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch läufst du in die Wälder und stellst bösen Thieren nach!

Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in deiner eignen Höhle werde ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein Klotz – und auf dich warten!«

»So sei's! rief Zarathustra zurück im Fortgehn: und was mein ist in meiner Höhle, gehört auch dir, meinem Gastfreunde!

Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, du Brummbär, und versüsse deine Seele! Am Abende nämlich wollen wir Beide guter Dinge sein,

– guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du selber sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbär tanzen.

Du glaubst nicht daran? Du schüttelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter Bär! Aber auch ich – bin ein Wahrsager.«

Also sprach Zarathustra.

Gespräch mit den Königen

Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Wäldern unterwegs, da sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit Kronen und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie Flamingo-Vögel: die trieben einen beladenen Esel vor sich her.»Was wollen diese Könige in meinem Reiche?«sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und versteckte Sich geschwind hinter einem Busche. Als aber die Könige bis zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu sich allein redet:»Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Könige sehe ich – und nur Einen Esel!«

Da machten die beiden Könige Halt, lächelten, sahen nach der Stelle hin, woher die Stimme kam, und sahen sich nachher selber in's Gesicht.»Solcherlei denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur Rechten, aber man spricht es nicht aus.«

Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete:»Das mag wohl ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und Bäumen lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich verdirbt auch die guten Sitten.«

»Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre König: wem laufen wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den»guten Sitten«? Unsrer»guten Gesellschaft«?

Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm vergoldeten falschen überschminkten Pöbel leben, – ob er sich schon»gute Gesellschaft«heisst,

– ob er sich schon»Adel«heisst. Aber da ist Alles falsch und faul, voran das Blut, Dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren Heil-Künstlern.

Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, listig, hartnäckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art.

Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber es ist das Reich des Pöbels, – ich lasse mir Nichts mehr vormachen. Pöbel aber, das heisst: Mischmasch.

Pöbel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und Hallunke und Junker und Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noäh.

Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr zu verehren: dem gerade laufen wir davon. Es sind süssliche zudringliche Hunde, sie vergolden Palmenblätter.

Dieser Ekel würgt mich, dass wir Könige selber falsch wurden, überhängt und verkleidet durch alten vergilbten Grossväter-Prunk, Schaumünzen für die Dümmsten und die Schlauesten, und wer heute Alles mit der Macht Schacher treibt!

Wir sind nicht die Ersten – und müssen es doch bedeuten: dieser Betrügerei sind wir endlich satt und ekel geworden.

Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihälsen und Schreib-Schmeissfliegen, dem Krämer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem üblen Athem –: pfui, unter dem Gesindel leben,

– pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! Ekel! Was liegt noch an uns Königen!«–

»Deine alte Krankheit fällt dich an, sagte hier der König zur Linken, der Ekel fällt dich an, mein armer Bruder. Aber du weisst es doch, es hört uns Einer zu.«

Sofort erhob sich Zarathustra, der zu diesen Reden Ohren und Augen aufgesperrt hatte, aus seinem Schlupfwinkel, trat auf die Könige zu und begann:

»Der Euch zuhört, der Euch gerne zuhört, ihr Könige, der heisst Zarathustra.

Ich bin Zarathustra, der einst sprach:»Was liegt noch an Königen!«Vergebt mir, ich freute mich, als Ihr zu einander sagtet:»Was liegt an uns Königen!«

Hier aber ist mein Reich und meine Herrschaft: was mögt Ihr wohl in meinem Reiche suchen? Vielleicht aber fandet Ihr unterwegs, was ich suche: nämlich den höheren Menschen.«

Als Diess die Könige hörten, schlugen sie sich an die Brust und sprachen mit Einem Munde:»Wir sind erkannt!

Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du unsres Herzens dickste Finsterniss. Du entdecktest unsre Noth, denn siehe! Wir sind unterwegs, dass wir den höheren Menschen fänden –

– den Menschen, der höher ist als wir: ob wir gleich Könige sind. Ihm führen wir diesen Esel zu. Der höchste Mensch nämlich soll auf Erden auch der höchste Herr sein.

Es giebt kein härteres Unglück in allem Menschen-Schicksale, als wenn die Mächtigen der Erde nicht auch die ersten Menschen sind. Da wird Alles falsch und schief und ungeheuer.

Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh als Mensch: da steigt und steigt der Pöbel im Preise, und endlich spricht gar die Pöbel-Tugend:»siehe, ich allein bin Tugend!«–

Was hörte ich eben? antwortete Zarathustra; welche Weisheit bei Königen! Ich bin entzückt, und, wahrlich, schon gelüstet's mich, einen Reim darauf zu machen: –

– mag es auch ein Reim werden, der nicht für Jedermanns Ohren taugt. Ich verlernte seit langem schon die Rücksicht auf lange Ohren. Wohlan! Wohlauf!

(Hier aber geschah es, dass auch der Esel zu Worte kam: er sagte aber deutlich und mit bösem Willen I-A.)

Einstmals – ich glaub', im Jahr des Heiles Eins –

Sprach die Sibylle, trunken sonder Weins:

»Weh, nun geht's schief!

»Verfall! Verfall! Nie sank die Welt so tief!

»Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude,

»Rom's Caesar sank zum Vieh, Gott selbst – ward Jude!«

An diesen Reimen Zarathustra's weideten sich die Könige; der König zur Rechten aber sprach:»oh Zarathustra, wie gut thaten wir, dass wir auszogen, dich zu sehn!

Deine Feinde nämlich zeigten uns dein Bild in ihrem Spiegel: da blicktest du mit der Fratze eines Teufels und hohnlachend: also dass wir uns vor dir fürchteten.

Aber was half's! Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit deinen Sprüchen. Da sprachen wir endlich: was liegt daran, wie er aussieht!

Wir müssen ihn hören, ihn, der lehrt»ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen, und den kurzen Frieden mehr als den langen!«

Niemand sprach je so kriegerische Worte:»Was ist gut? Tapfer sein ist gut. Der gute Krieg ist's, der jede Sache heiligt.«

Oh Zarathustra, unsrer Väter Blut rührte sich bei solchen Worten in unserm Leibe: das war wie die Rede des Frühlings zu alten Weinfässern.

Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich rothgefleckten Schlangen, da wurden unsre Väter dem Leben gut; alles Friedens Sonne dünkte sie flau und lau, der lange Frieden aber machte Scham.

Wie sie seufzten, unsre Väter, wenn sie an der Wand blitzblanke ausgedorrte Schwerter sahen! Denen gleich dürsteten sie nach Krieg. Ein Schwert nämlich will Blut trinken und funkelt vor Begierde.«– –

– Als die Könige dergestalt mit Eifer von dem Glück ihrer Väter redeten und schwätzten, überkam Zarathustra keine kleine Lust, ihres Eifers zu spotten: denn ersichtlich waren es sehr friedfertige Könige, welche er vor sich sah, solche mit alten und feinen Gesichtern. Aber er bezwang sich.»Wohlan! sprach er, dorthin führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's; und dieser Tag soll einen langen Abend haben! Jetzt aber ruft mich eilig ein Nothschrei fort von Euch.

Es ehrt meine Höhle, wenn Könige in ihr sitzen und warten wollen: aber, freilich, Ihr werdet lange warten müssen!

Je nun! Was thut's! Wo lernt man heute besser warten als an Höfen? Und der Könige ganze Tugend, die ihnen übrig blieb, – heisst sie heute nicht: Warten- können

Also sprach Zarathustra.

Der Blutegel

Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen; wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und siehe, da sprützten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die Thorheit, die er eben gethan hatte.

»Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und vernimm vor Allem erst ein Gleichniss.

Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt:

– wie da Beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns.

Und doch! Und doch – wie wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide – Einsame!«

–»Wer du auch sein magst, sagte immer noch grimmig der Getretene, du trittst mir auch mit deinem Gleichniss zu nahe, und nicht nur mit deinem Fusse!

Siehe doch, bin ich denn ein Hund?«– und dabei erhob sich der Sitzende und zog seinen nackten Arm aus dem Sumpfe. Zuerst nämlich hatte er ausgestreckt am Boden gelegen, verborgen und unkenntlich gleich Solchen, die einem Sumpf-Wilde auflauern.

»Aber was treibst du doch!«rief Zarathustra erschreckt, denn er sahe, dass über den nackten Arm weg viel Blut floss, – was ist dir zugestossen? Biss dich, du Unseliger, ein schlimmes Thier?

Der Blutende lachte, immer noch erzürnt.»Was geht's dich an! sagte er und wollte weitergehn. Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag mich fragen, wer da will: einem Tölpel aber werde ich schwerlich antworten.«

»Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: hier bist du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, und darin soll mir Keiner zu Schaden kommen.

Nenne mich aber immerhin, wie du willst, – ich bin, der ich sein muss. Ich selber heisse mich Zarathustra.

Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra's Höhle: die ist nicht fern, – willst du nicht bei mir deiner Wunden warten?

Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich das Thier, und dann – trat dich der Mensch!«– –

Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's hörte, verwandelte er sich.»Was geschieht mir doch! rief er aus, wer kümmert mich denn noch in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra, und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel?

Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, und schon war mein ausgehängter Arm zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schönerer Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber!

Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!«–

Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich über seine Worte und ihre feine ehrfürchtige Art.»Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern: aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag.«

»Ich bin der Gewissenhafte des Geistes, antwortete der Gefragte, und in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und härter als ich, ausgenommen der, von dem ich's lernte, Zarathustra selber.

Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken! Ich – gehe auf den Grund:

– was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist!

– eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines.«

»So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; und du gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten Gründe, du Gewissenhafter?«

»Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das wäre ein Ungeheures, wie dürfte ich mich dessen unterfangen!

Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels Hirn: – das ist meine Welt!

Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte kommt, denn ich habe hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich»hier bin ich heim.«

Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, dass die schlüpfrige Wahrheit mir hier nicht mehr entschlüpfe! Hier ist mein Reich!

– darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles. Andre gleich; und dicht neben meinem Wissen lagert mein schwarzes Unwissen.

Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und sonst Alles nicht weiss: es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller Dunstigen, Schwebenden, Schwärmerischen.

Wo meine Redlichkeit aufhört, bin ich blind und will auch blind sein. Wo ich aber wissen will, will ich auch redlich sein, nämlich hart, streng, eng, grausam, unerbittlich.

Dass du einst sprachst, oh Zarathustra:»Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet,«das führte und verführte mich zu deiner Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne Wissen!«

– Wie der Augenschein lehrt,«fiel Zarathustra ein; denn immer noch floss das Blut an dem nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten nämlich zehn Blutegel sich in denselben eingebissen.

»Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein da, nämlich du selber! Und nicht Alles dürfte ich vielleicht in deine strengen Ohren giessen!

Wohlan! So scheiden wir hier! Doch möchte ich gerne dich wiederfinden. Dort hinauf führt der Weg zu meiner Höhle: heute Nacht sollst du dort mein lieber Gast sein!

Gerne möchte ich's auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass Zarathustra dich mit Füssen trat: darüber denke ich nach. Jetzt aber ruft mich ein Nothschrei eilig fort von dir.«

Also sprach Zarathustra.

Der Zauberer

Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde niederstürzte.»Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Nothschrei, – ich will sehn, ob da zu helfen ist.«Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra mühte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien der Unglückliche nicht zu merken, dass jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit rührenden Gebärden um, wie ein von aller Welt Verlassener und Vereinsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und Sich-zusammen-Krümmen, begann er also zu jammern:

Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?

Gebt heisse Hände!

Gebt Herzens-Kohlenbecken!

Hingestreckt, schaudernd,

Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt –

Geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern,

Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen,

Von dir gejagt, Gedanke!

Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher!

Du Jäger hinter Wolken!

Darniedergeblitzt von dir,

Du höhnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt:

– so liege ich,

Biege mich, winde mich, gequält

Von allen ewigen Martern,

Getroffen

Von Dir, grausamster Jäger,

Du unbekannter – Gott!

Triff tiefer,

Triff Ein Mal noch!

Zerstich, zerbrich diess Herz!

Was soll diess Martern

Mit zähnestumpfen Pfeilen?

Was blickst du wieder,

Der Menschen-Qual nicht müde,

Mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen?

Nicht tödten willst du,

Nur martern, martern?

Wozu – mich martern,

Du schadenfroher unbekannter Gott? –

Haha! Du schleichst heran?

Bei solcher Mitternacht

Was willst du? Sprich!

Du drängst mich, drückst mich –

Ha! schon viel zu nahe!

Weg! Weg!

Du hörst mich athmen,

Du behorchst mein Herz,

Du Eifersüchtiger –

Worauf doch eifersüchtig?

Weg! Weg! Wozu die Leiter?

Willst du hinein,

In's Herz,

Einsteigen, in meine heimlichsten

Gedanken einsteigen?

Schamloser! Unbekannter – Dieb!

Was willst du dir erstehlen,

Was willst du dir erhorchen,

Was willst du dir erfoltern,

Du Folterer!

Du – Henker-Gott!

Oder soll ich, dem Hunde gleich,

Vor dir mich wälzen?

Hingebend, begeistert-ausser-mir,

Dir – Liebe zuwedeln?

Umsonst! Stich weiter,

Grausamster Stachel! Nein,

Kein Hund – dein Wild nur bin ich,

Grausamster Jäger!

Dein stolzester Gefangner,

Du Räuber hinter Wolken!

Sprich endlich,

Was willst du, Wegelagerer, von mir?

Du Blitz-Verhüllter! Unbekannter! Sprich,

Was willst du, unbekannter Gott? – –

Wie? Lösegeld?

Was willst du Lösegelds?

Verlange Viel – das räth mein Stolz!

Und rede kurz – das räth mein andrer Stolz!

Haha!

Mich – willst du? Mich?

Mich – ganz?

Haha!

Und marterst mich, Narr, der du bist,

Zermarterst meinen Stolz?

Gieb Liebe mir – wer wärmt mich noch?

Wer liebt mich noch? – gieb heisse Hände,

Gieb Herzens-Kohlenbecken,

Gieb mir, dem Einsamsten,

Den Eis, ach! siebenfaches Eis

Nach Feinden selber,

Nach Feinden schmachten lehrt,

Gieb, ja ergieb,

Grausamster Feind,

Mir – dich! – –

Davon!

Da floh er selber,

Mein letzter einziger Genoss,

Mein grosser Feind,

Mein Unbekannter,

Mein Henker-Gott! –

– Nein! Komm zurück,

Mit allen deinen Martern!

Zum Letzten aller Einsamen

Oh komm zurück!

All meine Thränen-Bäche laufen

Zu dir den Lauf!

Und meine letzte Herzens-Flamme –

Dir glüht sie auf!

Oh komm zurück,

Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes –

Glück!

– Hier aber konnte sich Zarathustra nicht länger halten, nahm seinen Stock und schlug mit allen Kräften auf den jammernden los.»Halt ein! schrie er ihm zu, mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schauspieler! Du Falschmünzer! Du Lügner aus dem Grunde! Ich erkenne dich wohl!

Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich verstehe mich gut darauf, Solchen wie du bist – einzuheizen!«

–»Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage nicht mehr, oh Zarathustra! Ich trieb's also nur zum Spiele!

Solcherlei gehört zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die Probe stellen, als ich dir diese Probe gab! Und, wahrlich, du hast mich gut durchschaut!

Aber auch du – gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist hart, du weiser Zarathustra! Hart schlägst du zu mit deinen»Wahrheiten,«dein Knüttel erzwingt von mir – diese Wahrheit!«

–»Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was redest du – von Wahrheit!

Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, was spieltest du vor mir, du schlimmer Zauberer, an wen sollte ich glauben, als du in solcher Gestalt jammertest?«

» Den Büsser des Geistes, sagte der alte Mann, den – spielte ich: du selber erfandest einst diess Wort –

– den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist wendet, den Verwandelten, der an seinem bösen Wissen und Gewissen erfriert.

Und gesteh es nur ein: es währte lange, oh Zarathustra, bis du hinter meine Kunst und Lüge kamst! Du glaubtest an meine Noth, als du mir den Kopf mit beiden Händen hieltest, –

– ich hörte dich jammern»man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig geliebt!«Dass ich dich soweit betrog, darüber frohlockte inwendig meine Bosheit.«

»Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich bin nicht auf der Hut vor Betrügern, ich muss ohne Vorsicht sein: so will es mein Loos.

Du aber – musst betrügen: so weit kenne ich dich! Du musst immer zwei- drei- vier- und fünfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, war mir lange nicht wahr und nicht falsch genung!

Du schlimmer Falschmünzer, wie könntest du anders! Deine Krankheit würdest du noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest.

So schminktest du eben vor mir deine Lüge, als du sprachst:»ich trieb's also nur zum Spiele!«Es war auch Ernst darin, du bist Etwas von einem Büsser des Geistes!

Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen dich hast du keine Lüge und List mehr übrig, – du selber bist dir entzaubert!

Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr an dir ächt, aber dein Mund: nämlich der Ekel, der an deinem Munde klebt.«– –

–»Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen Stimme, wer darf also zu m i r reden, dem Grössten, der heute lebt?«– und ein grüner Blitz schoss aus seinem Auge nach Zarathustra. Aber gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig:

»Oh Zarathustra, ich bin's müde, es ekelt mich meiner Künste, ich bin nicht gross, was verstelle ich mich! Aber, du weisst es wohl – ich suchte nach Grösse!

Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und überredete Viele: aber diese Lüge gieng über meine Kraft. An ihr zerbreche ich.

Oh Zarathustra, Alles ist Lüge an mir; aber dass ich zerbreche – diess mein Zerbrechen ist ächt!«–

»Es ehrt dich, sprach Zarathustra düster und zur Seite niederblickend, es ehrt dich, dass du nach Grösse suchtest, aber es verräth dich auch. Du bist nicht gross.

Du schlimmer alter Zauberer, das ist dein Bestes und Redlichstes, was ich an dir ehre, dass du deiner müde wurdest und es aussprachst:»ich bin nicht gross.«

Darin ehre ich dich als einen Büsser des Geistes: und wenn auch nur für einen Hauch und Husch, diesen Einen Augenblick warst du – ächt.

Aber sprich, was suchst du hier in meinen Wäldern und Felsen? Und wenn du mir dich in den Weg legtest, welche Probe wolltest du von mir? –

– wess versuchtest du mich?«–

Also sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer schwieg eine Weile, dann sagte er:»Versuchte ich dich? Ich – suche nur.

Oh Zarathustra, ich suche einen Ächten, Rechten, Einfachen, Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefäss der Weisheit, einen Heiligen der Erkenntniss, einen grossen Menschen!

Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra? Ich suche Zarathustra. «

– Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden; Zarathustra aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die Augen schloss. Dann aber, zu seinem Unterredner zurückkehrend, ergriff er die Hand des Zauberers und sprach, voller Artigkeit und Arglist:

»Wohlan! Dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's. In ihr darfst du suchen, wen du finden möchtest.

Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die sollen dir suchen helfen. Meine Höhle aber ist gross.

Ich selber freilich – ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross ist, dafür ist das Auge der Feinsten heute grob. Es ist das Reich des Pöbels.

So Manchen fand ich schon, der streckte und blähte sich, und das Volk schrie:»Seht da, einen grossen Menschen!«Aber was helfen alle Blasebälge! Zuletzt fährt der Wind heraus.

Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da fährt der Wind heraus. Einem Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich eine brave Kurzweil. Hört das, ihr Knaben!

Diess Heute ist des Pöbels: wer weiss da noch, was gross, was klein ist! Wer suchte da mit Glück nach Grösse! Ein Narr allein: den Narren glückt's.

Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer lehrte's dich? Ist heute dazu die Zeit? Oh du schlimmer Sucher, was – versuchst du mich?«– –

Also sprach Zarathustra, getrösteten Herzens, und gieng lachend seines Wegs fürbass.

Ausser Dienst

Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht hatte, sahe er wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gieng, nämlich einen schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht: der verdross ihn gewaltig.»Wehe, sprach er zu seinem Herzen, da, sitzt vermummte Trübsal, das dünkt mich von der Art der Priester: was wollen die in meinem Reiche?

Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein anderer Schwarzkünstler über den Weg laufen, –

– irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthäter von Gottes Gnaden, ein gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen möge!

Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze wäre: immer kommt er zu spät, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!«–

Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie er abgewandten Blicks an dem schwarzen Manne vorüberschlüpfe: aber siehe, es kam anders. Im gleichen Augenblicke nämlich hatte ihn schon der Sitzende erblickt; und nicht unähnlich einem Solchen, dem ein unvermuthetes Glück zustösst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra los.

»Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, einem Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt!

Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte ich wilde Thiere heulen; und Der, welcher mir hätte Schutz bieten können, der ist selber nicht mehr.

Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und Einsiedler, der allein in seinem Walde noch Nichts davon gehört hatte, was alle Welt heute weiss.«

» Was weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?«

»Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt. Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde.

Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen.

Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir machte, wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der letzte Papst! – ein Fest frommer Erinnerungen und Gottesdienste.

Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch, jener Heilige im Walde, der seinen Gott beständig mit Singen und Brummen lobte.

Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte fand, – wohl aber zwei Wölfe darin, welche um seinen Tod heulten – denn alle Thiere liebten ihn. Da lief ich davon.

Kam ich also umsonst in diese Wälder und Berge? Da entschloss sich mein Herz, dass ich einen Anderen suchte, den Frömmsten aller Derer, die nicht an Gott glauben –, dass ich Zarathustra suchte!«

Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor ihm stand; Zarathustra aber ergriff die Hand des alten Papstes und betrachtete sie lange mit Bewunderung.

»Siehe da, du Ehrwürdiger, sagte er dann, welche schöne und lange Hand! Das ist die Hand eines Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat. Nun aber hält sie Den fest, welchen du suchst, mich, Zarathustra.

Ich bin's, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser als ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?«–

Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die Gedanken und Hintergedanken des alten Papstes. Endlich begann dieser:

»Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch verloren –:

– siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber wer könnte daran sich freuen!«–

»Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach einem tiefen Schweigen, du weisst, wie er starb? Ist es wahr, was man spricht, dass ihn das Mitleiden erwürgte,

– dass er es sah, wie der Mensch am Kreuze hieng, und es nicht ertrug, dass die Liebe zum Menschen seine Hölle und zuletzt sein Tod wurde?«– –

Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit einem schmerzlichen und düsteren Ausdrucke zur Seite.

»Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, indem er immer noch dem alten Manne gerade in's Auge blickte.

Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du diesem Todten nur Gutes nachredest, so weisst du so gut als ich, wer er war; und dass er wunderliche Wege gieng.«

»Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er war auf Einem Auge blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter als Zarathustra selber – und darf es sein.

Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gieng allem seinen Willen nach. Ein guter Diener aber weiss Alles, und Mancherlei auch, was sein Herr sich selbst verbirgt.

Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem Sohne sogar kam er nicht anders als auf Schleichwegen. An der Thür seines Glaubens steht der Ehebruch.

Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von der Liebe selber. Wollte dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der Liebende liebt jenseits von Lohn und Vergeltung.

Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und rachsüchtig und erbaute sich eine Hölle zum Ergötzen seiner Lieblinge.

Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe und mitleidig, einem Grossvater ähnlicher als einem Vater, am ähnlichsten aber einer wackeligen alten Grossmutter.

Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, härmte sich ob seiner schwachen Beine, weltmüde, willensmüde, und erstickte eines Tags an seinem allzugrossen Mitleiden.«– –

»Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du Das mit Augen angesehn? Es könnte wohl so abgegangen sein: so, und auch anders. Wenn Götter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes.

Aber wohlan! So oder so, so und so – er ist dahin! Er gieng meinen Ohren und Augen wider den Geschmack, Schlimmeres möchte ich ihm nicht nachsagen.

Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er – du weisst es ja, du alter Priester, es war Etwas von deiner Art an ihm, von Priester-Art – er war vieldeutig.

Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezürnt, dieser Zornschnauber, dass wir ihn schlecht verstanden Aber warum sprach er nicht reinlicher?

Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht hörten? War Schlamm in unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein?

Zu Vieles missrieth ihm, diesem Töpfer, der nicht ausgelernt hatte! Dass er aber Rache an seinen Töpfen und Geschöpfen nahm, dafür dass sie ihm schlecht geriethen, – das war eine Sünde wider den guten Geschmack.

Es giebt auch in der Frömmigkeit guten Geschmack: der sprach endlich»Fort mit einem solchen Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf eigne Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!«

–»Was höre ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren; oh Zarathustra, du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen Unglauben! Irgend ein Gott in dir bekehrte dich zu deiner Gottlosigkeit.

Ist es nicht deine Frömmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen Gott glauben lässt? Und deine übergrosse Redlichkeit wird dich auch noch jenseits von Gut und Böse wegfuhren!

Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und Mund, die sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet nicht mit der Hand allein.

In deiner Nähe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich einen heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird wohl und wehe dabei.

Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, für eine einzige Nacht! Nirgends auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!«–

»Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's.

Gerne, fürwahr, würde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwürdiger, denn ich liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein Nothschrei weg von dir.

In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Höhle ist ein guter Hafen. Und am liebsten möchte ich jedweden Traurigen wieder auf festes Land und feste Beine stellen.

Wer aber nähme dir deine Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich zu schwach. Lange, wahrlich, möchten wir warten, bis dir Einer deinen Gott wieder aufweckt.

Dieser alte Gott nämlich lebt nicht mehr: der ist gründlich todt.«–

Also sprach Zarathustra.

Der hässlichste Mensch

– Und wieder liefen Zarathustra's Füsse durch Berge und Wälder, und seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war dankbar.»Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand ich!

An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern; klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele fliessen!«– –

Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit Einem Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere-, nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod.

Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere legte sich ihm über den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen aufthat, Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum wie ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage überfiel Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas mit den Augen angesehn habe: erröthend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte er den Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle verlasse. Da aber wurde die todte Öde laut: vom Boden auf nämlich quoll es gurgelnd und röchelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte Wasser-Röhren gurgelt und röchelt; und zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme und Menschen-Rede: – die lautete also.

»Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Räthsel! Sprich, sprich! Was ist die Rache am Zeugen?

Ich locke dich zurück, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein Stolz sich hier nicht die Beine bricht!

Du dünkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das Räthsel, du harter Nüsseknacker, – das Räthsel, das ich bin! So sprich doch – wer bin ich! «

– Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte, – was glaubt ihr wohl, dass sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen Holzschlägern widerstanden hat, – schwer, plötzlich, zum Schrecken selber für Die, welche ihn fällen wollten. Aber schon stand er wieder vom Boden auf, und sein Antlitz wurde hart.

»Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist der Mörder Gottes! Lass mich gehn.

Du ertrugst Den nicht, der dich sah, – der dich immer und durch und durch sah, du hässlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!«

Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nach Worten zu suchen.»Bleib!«sagte er endlich –

– bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst!

Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn tödtete, – dem Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.

Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also – meine Hässlichkeit!

Sie verfolgen mich: nun bist du meine letzte Zuflucht. Nicht mit ihrem Hasse, nicht mit ihren Häschern: – oh solcher Verfolgung würde ich spotten und stolz und froh sein!

War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht folgen: – ist er doch einmal – hinterher! Aber ihr Mitleid ist's –

– ihr Mitleid ist's, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. Oh Zarathustra, schütze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der mich errieth:

– du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher ihn tödtete. Bleib! Und willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der Weg ist schlecht.

Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich bin's, der hässlichste Mensch,

– der auch die grössten schwersten Füsse hat. Wo ich gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden.

Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend; dass du erröthetest, ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra.

Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber dazu – bin ich nicht Bettler genug, das erriethest du –

– dazu bin ich zu reich, reich an Grossem, an Furchtbarem, am Hässlichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, ehrte mich!

Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der Mitleidigen, – dass ich den Einzigen fände, der heute lehrt»Mitleiden ist zudringlich«– dich, oh Zarathustra!

– sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die zuspringt.

Das aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das Mitleiden: – die haben keine Ehrfurcht vor grossem Unglück, vor grosser Hässlichkeit, vor grossem Missrathen.

Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund über die Rücken wimmelnder Schafheerden wegblickt. Es sind kleine wohlwollige wohlwillige graue Leute.

Wie ein Reiher verachtend über flache Teiche wegblickt, mit zurückgelegtem Kopfe: so blicke ich über das Gewimmel grauer kleiner Wellen und Willen und Seelen weg.

Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten: so gab man ihnen endlich auch die Macht – nun lehren sie:»gut ist nur, was kleine Leute gut heissen.«

Und»Wahrheit«heisst heute, was der Prediger sprach, der selber aus ihnen herkam, jener wunderliche Heilige und Fürsprecher der kleinen Leute, welcher von sich zeugte»ich – bin die Wahrheit.«

Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm hoch schwellen – er, der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte»ich – bin die Wahrheit.«

Ward einem Unbescheidnen jemals höflicher geantwortet? – Du aber, oh Zarathustra, giengst an ihm vorüber und sprachst:»Nein! Nein! Drei Mal Nein!«

Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem Mitleiden – nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art.

Du schämst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn du sprichst»von dem Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, ihr Menschen!«

– wenn du lehrst»alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe ist über ihrem Mitleiden«: oh Zarathustra, wie gut dünkst du mich eingelernt auf Wetter-Zeichen!

Du selber aber – warne dich selber auch vor deinem Mitleiden! Denn Viele sind zu dir unterwegs, viele Leidende, Zweifelnde, Verzweifelnde, Ertrinkende, Frierende –

Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes Räthsel, mich selber und was ich that. Ich kenne die Axt, die dich fällt.

Aber er – musste sterben: er sah mit Augen, welche Alles sahn, – er sah des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach und Hässlichkeit.

Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten Winkel. Dieser Neugierigste, Über-Zudringliche, Über-Mitleidige musste sterben.

Er sah immer mich: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache haben – oder selber nicht leben.

Der Gott, der Alles sah, auch den Menschen dieser Gott musste sterben! Der Mensch erträgt es nicht, dass solch ein Zeuge lebt.«

Also, sprach der hässlichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich und schickte sich an fortzugehn: denn ihn fröstelte bis in seine Eingeweide.

»Du Unaussprechlicher, sagte er, du warntest mich vor deinem Wege. Zum Danke dafür lobe ich dir den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die Höhle Zarathustra's.

Meine Höhle ist gross und tief und hat viele Winkel; da findet der Versteckteste sein Versteck. Und dicht bei ihr sind hundert Schlüpfe und Schliche für kriechendes, flatterndes und springendes Gethier.

Du Ausgestossener, der du dich selber ausstiessest, du willst nicht unter Menschen und Menschen-Mitleid wohnen? Wohlan, so thu's mir gleich! So lernst du auch von mir; nur der Thäter lernt.

Und rede zuerst und -nächst mit meinen Thieren! Das stolzeste Thier und das klügste Thier – die möchten uns Beiden wohl die rechten Rathgeber sein!«– –

Also sprach Zarathustra und gieng seiner Wege, nachdenklicher und langsamer noch als zuvor: denn er fragte sich Vieles und wusste sich nicht leicht zu antworten.

»Wie arm ist doch der Mensch! dachte er in seinem Herzen, wie hässlich, wie röchelnd, wie voll verborgener Scham!

Man sagt mir, dass der Mensch sich selber liebe: ach, wie gross muss diese Selber-Liebe sein! Wie viel Verachtung hat sie wider sich!

Auch dieser da liebte sich, wie er sich verachtete, – ein grosser Liebender ist er mir und ein grosser Verächter.

Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet hätte: auch Das ist Höhe. Wehe, war Der vielleicht der höhere Mensch, dessen Schrei ich hörte?

Ich liebe die grossen Verachtenden. Der Mensch aber ist Etwas, das überwunden werden muss.«– –

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