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Die Legende vom deutschen Wirtschaftswunder




Die Anfangszeiten der Sozialen Marktwirtschaft nach dem Krieg waren alles andere als rosig: 10 Prozent der Erwerbsfähigen arbeitslos. Grundnahrungsmittel zunächst noch auf Bezugsschein. Wuchernder Schwarzmarkt. Hohe Steuern für Unternehmen. Und Alliierte, die bürokratisch in alles hineinregierten. Hätte jemand den Westdeutschen 1948 erzählt, dass in der Bundesrepublik bereits 1961 Vollbeschäftigung herrschen und dass Bundesbürger zu Tausenden im eigenen Käfer in den Italien-Urlaub fahren würden, er wäre damals nicht nur bei den anderthalb Millionen Arbeitslosen in der Bundesrepublik auf Hohn und Spott gestoßen.

Und das wäre vielleicht zunächst auch so geblieben, wenn es da nicht eine wuchtige Persönlichkeit gegeben hätte, die dickköpfig, Zigarre rauchend, ein anderes System erdachte und sich damit auch über strikte Weisungen der Siegermächte hinwegsetzte: Ludwig Erhard, geboren 1897 in Fürth, Sohn eines Textilwarenhändlers, Wirtschaftsfachmann mit großen Visionen. Er hatte schon 1944 das Konzept einer wirtschaftlichen Ordnung nach dem Krieg - die Niederlage sah er voraus - entwickelt.

Die Briten und Amerikaner machten Erhard 1948 zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft. Berühmt wurde er durch die Währungsreform 1948. Schon in der ersten Woche danach waren die Schaufenster plötzlich voll mit Kaffee und Kochtöpfen, Zigaretten und Zahnbürsten. Es muss den Westdeutschen damals so vorgekommen sein, wie 1989 den DDR-Bürgern nach dem Mauerfall. Sogar die Kühe schienen auf die West-Mark mit höherer Milch-Leistung zu reagieren: In der ersten Woche mit der neuen Währung wurde wesentlich mehr Butter ausgeliefert als vorher. Zuvor war die Ware in dunklen Kanälen versickert.

Doch die marktwirtschaftliche Radikalkur, die Erhard den Westdeutschen verordnete, hatte auch ihre Schattenseiten und war politisch stark umstritten. Denn mit der neuen D-Mark, die die marode Reichsmark ablöste, hob Erhard schrittweise und teilweise gegen den Willen der Alliierten auch die gesetzliche Preisbindung sowie die Planbewirtschaftung der meisten Güter auf. Ein VW-Käfer war dann zwar lieferbar, kostete aber 5300 Mark. Ein durchschnittliches Arbeitnehmer-Monatseinkommen betrug seinerzeit rund 540 DM - brutto.

Für Erhard, seit 1949 Wirtschaftsminister im Kabinett der Regierung von Kanzler Konrad Adenauer, war aber eben diese Freiheit von Preisen und Produktion entscheidend. Die von ihm durchgesetzte Vorstellung einer sozialen Marktwirtschaft lebte von der Idee, dass der Staat nicht direkt in Preis- und Lohnbildung sowie Produktion eingreift. Das Konzept, erstmals 1947 vom Kölner Wirtschaftsprofessor Alfred Müller Armack beim Namen genannt, geht vielmehr davon aus, dass der Staat lediglich günstige Rahmenbedingungen setzt, damit die Wirtschaft möglichst störungsfrei arbeiten kann. Wettbewerb sollte für optimale Qualität der Waren zu günstigen Preisen sorgen.

Doch zunächst lief das stockend an. Viele in Westdeutschland fürchteten nach dem Krieg eine Krise und sogar eine galoppierende Inflation wie in den 20er Jahren. Erhard wies die Forderungen der Opposition nach Planwirtschaft aber brüsk zurück: "Das ist ja grade das Geheimnis der Marktwirtschaft, und das macht ihre Überlegenheit gegenüber jeder Art von Planwirtschaft aus, dass sich in ihr täglich die Anpassungsprozesse vollziehen, die Angebot und Nachfrage zum Ausgleich bringen." schrieb er in seinem Buch "Wohlstand für alle".

Auf die wirtschaftlichen Anlaufprobleme nach der Währungsreform reagierte Erhard 1950, indem er Investitionen für die Industrie wieder attraktiv machte: Er ging gegen die von den Alliierten festgesetzten sehr hohen Einkommens- und Körperschaftssteuersätze an, erlaubte zunächst sehr großzügige Abschreibungsraten auf Investitionen und senkte dann auch die Steuern.

Dieses Rezept funktionierte. Die Wirtschaft wuchs in den 50er Jahren mit durchschnittlich über 7 Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 rechnet die Bundesregierung mit einem Wachstum von 1,7 Prozent. Westdeutschlands Wirtschaft wurde zum Exportmeister. 1962 exportierte sie Güter im Wert von über zehn Milliarden Dollar. Nicht nur der Käfer lief und lief und lief rund um den Globus. Und die D-Mark avancierte zur härtesten Währung weltweit. Anfang der 60er Jahre herrschte in Westdeutschland Vollbeschäftigung. Das Durchschnittseinkommen hatte sich im Vergleich zu den Anfangsjahren verdreifacht. Auch Millionen Flüchtlinge aus dem Osten wurden problemlos in den Arbeitsmarkt West aufgenommen. Ihr Know-how trug ganz sicher dazu bei, dass der Wirtschaftsmotor West noch schneller tourte.

Was genau war das Erfolgsgeheimnis des Wirtschaftswunders?

Zunächst einmal war es - darauf bestand auch Erhard - kein "Wunder", sondern schlicht das Ergebnis einer Wirtschaftspolitik, die günstige Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln und freien Wettbewerb schuf. Das hat die Wirtschaft zu einem Investitionsschub motiviert. Mit der neuen Technik ließ sich viel schneller und billiger produzieren. Waren Made in West-Germany hatten nicht nur eine gute Qualität, sie schnitten im internationalen Wettbewerb auch beim Preis hervorragend ab - nicht zuletzt auch, weil die Löhne in Westdeutschland im Vergleich zum Ausland zunächst niedrig blieben. Die zweifellos großen Gewinne vieler Unternehmen in den frühen Jahren der Marktwirtschaft wurden nicht gleich in den Konsum gesteckt. Vielmehr flossen große Summen gleich wieder in die Betriebe - für neue, noch modernere und effektivere Anlagen.

Erst ab 1952 zogen auch die Arbeitnehmereinkommen an - dann aber gleich so sehr, dass Erhard um die Stabilität seiner D-Mark fürchtete und 1956 Maßnahmen gegen Preistreiberei auf den Weg brachte. 1958 erzielten die Gewerkschaften immerhin Lohnsteigerungen von über 8 Prozent!

Mit dem neuen Wohlstand bekam auch der Konsum - von Erhard als Grundrecht verkündet - einen neuen Stellenwert. Als erstes kam die Fresswelle. Für viele Haushalte war ein Kühlschrank Ziel aller Begierden, konnte doch mit ihm die neuen maschinell hergestellten Lebensmittel frischgehalten werden. Mit frischer Ananas im Kühlschrank rückten die Träume vom Urlaub im Süden zumindest geschmacklich näher. Realisiert werden konnten sie erst mit der folgenden Motorisierungs- und Reisewelle. Gab es 1950 grade mal 500.000 Autos in Westdeutschland, so waren es 1960 über vier Millionen. Der Käfer brachte die Deutschen nach Italien - für die meisten war es der erste Auslandsurlaub überhaupt.

Der wirtschaftlicher Erfolg ermöglichte auch den Ausbau des Sozialen in der Marktwirtschaft: Die Rentenreform brachte eine Anhebung der Renten um 60 Prozent! Die Sozialversicherung garantierte erstmals ein Leben oberhalb des Existenzminimums, und die Gewerkschaften konnten auch ihre Forderungen nach Mitbestimmung in den Unternehmen durchsetzen.

Für viele Deutsche in der Nachkriegszeit kam der Erhardsche "Wohlstand für alle" spät und blieb bescheiden. Doch trotz dieser Verteilungsungerechtigkeit blieben die Wirtschaftswunderjahre bis zur ersten Wachstumskrise 1966/67 als Legende im Bewusstsein: Einen solchen Entwicklungsschub gab es in Deutschland bis heute nie wieder.

Aufgabe 2. Setzen Sie die Wörter sinngemäß ein:

1. Wenn jemand den Westdeutschen erzählt hätte, dass schon 1961 im Land... herrschen wird, hätte er damals bei den anderthalb Millionen... nur Hohn hervorgerufen. 2. Ludwig Erhard, Wirtschaftsmann mit großen Visionen, konnte sich über.... hinwegsetzen. 3. Er war es, der die marode Reichsmark durch... ersetzte und die.... aufhob. 4...... konnte aber nicht für alle ausreichen:.... betrug rund 540 DM. 5. Für Erhard spielte aber die Freiheit von... und... eine entscheidende Rolle. 6. Die Regierung durfte nicht direkt in.... eingreifen. 7. Die Opposition befürchtete...., aber Erhard wies die Rückkehr zur... zurück. 8. Er meinte, dass..... den Markt selbst zum Ausgleich bringen. 9. Die Regierung senkte die hohen... und machte dadurch... in die Industrie attraktiv. 10. Flüchlinge und Heimkehrer wurden in den wachsenden... problemlos aufgenommen. Arbeitsmarkt Investitionen Einkommens- und Körperschaftssteuersätze Angebot und Nachfrage die Planwirtschaft die Inflation die Preis- und Lohnbindung Preise die Produktion das Monatseinkommen der Wohlstand die D-Mark Weisungen der Siegermächte Vollbeschäftigung Arbeitslose

 

Aufgabe 3. Die Epoche von Ludwig Erhard wird als „Wunderjahre“ und „ das deutsche Wirtschaftswunder“ bezeichnet. Er selbst hingegen meinte, dass es keine Wunder gibt. Lesen Sie den Text noch einmal und versuchen Sie die einzelnen Komponenten des deutschen Wirtschaftswunders zu erklären:

1. Erfolg der deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb;

2. Wohlstand für alle;

3. Ausbau des Sozialsystems.

Welche Rolle spielte dabei das Modell der sozialen Marktwirtschaft?

Aufgabe 4. Die Soziale Marktwirtschaft wird als „Rheinischer Kapitalismus“ bezeichnet. Lesen Sie den folgenden Text und erklären Sie anschließend den Unterschied zwischen diesen Termini.

Unter Rheinischem Kapitalismus versteht man eine „milde(re) Form“ von Kapitalismus. Der Begriff spielt wohl auf den rheinischen Bundeskanzler Konrad Adenauer mit dem damaligen Regierungssitz Bonn am Rhein an. Der offizielle Begriff war "Soziale Marktwirtschaft". Als politisches Schlagwort ist der Begriff aber nicht genau definiert und wird bisweilen auch gegen den Begriff der sozialen Marktwirtschaft gesetzt, wenn etwa eine "Klüngel-Wirtschaft" kritisiert wird im Unterschied zu einer wirklichen sozialen Marktwirtschaft.

Unter Adenauers Kanzlerschaft ging es mit der Wirtschaft aufwärts, die (anfangs hohe) Arbeitslosigkeit wurde abgebaut, die Löhne stiegen, der Sozialstaat wurde erweitert. Zum Rheinischen Kapitalismus gehört auch die Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, sowie eine stärkere staatliche Regulierung wirtschaftlichen Handelns (Marktregulierung). Der Rheinische Kapitalismus endete in den 90er Jahren. (Abschiedvorlesung "Kapitalismus und Kapitalismuskritik" Professor Dr. Hartmut Neuendorff)

Der Begriff wird als polemisches Gegenstück zu anderen Formen des Kapitalismus, etwa dem Manchester Kapitalismus des 19.Jahrhunderts, dem "angelsächsischen" Neoliberalismus seit Anfang der 80er Jahre oder dem "atlantischen" Kapitalismus (Elmar Altvater) gebraucht. Er wird auf den französischen Politiker und Intellektuellen Michel Albert zurückgeführt.

Kölner oder Kölscher Klüngel wird in Köln ein System auf Gegenseitigkeit beruhender Hilfeleistungen und Gefälligkeiten bezeichnet, das zur Vermischung von gesellschaftlichen, politischen und industriellen Interessen führen, also zur Korruption mutieren kann. Im Alltagsgebrauch ist Klüngel im Kölner Raum allerdings auch positiv besetzt, im Sinne von „eine Hand wäscht die andere“ oder „über Beziehungen verfügen“.

Aufgabe 5. Übersetzen Sie den Text aus dem Deutschen ins Russische, achten Sie dabei auf die Bedeutung der fettgedruckten Wörter.

Kernidee der Sozialen Marktwirtschaft ist es, dass eine funktionierende Wirtschaftsordnung nicht von selbst entsteht, sondern vom Staat geschaffen und gepflegt werden muss. Die wichtigsten Elemente in der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft:

  • Privateigentum an Produktionsmitteln und freie Preisbildung
  • Herstellung einer Wettbewerbsordnung und Sicherung des Wettbewerbs (z.B. durch das Kartellgesetz, Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb)
  • bewusste Konjunktur- und Wachstumspolitik
  • Sicherung der Vollbeschäftigung
  • Außenhandelsfreiheit, freier Währungsaustausch
  • Politik des stabilen Geldwertes (u.a. durch unabhängige Notenbank)
  • Soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und sozialer Fortschritt (durch staatliche Umverteilungsmaßnahmen in Form von Sozialhilfeleistungen, Sozialrenten und Ausgleichszahlungen, Subventionen, Zuschüssen, progressiver Einkommenssteuer usw.; durch die Systeme der Sozialen Sicherung: Renten-, Kranken-, Arbeitslosen und Pflegeversicherung, Unfallversicherung; durch eine Arbeits- und Sozialordnung).

Die Soziale Marktwirtschaft ist kein abgeschlossenes, sondern ein offenes System. Sie kann und muss bei neuen Wertvorstellungen und Erkenntnissen überprüft und verbessert werden.

 

Aufgabe 6. Übersetzen Sie ins Deutsche.

Модель социально-ориентированной рыночной экономики базируется на концепциях, разработанных в экономической науке в 30 – 40 гг. ХХ века. Осуществил теорию на практике немецкий экономист и государственный деятель Людвиг Эрхард, автор немецкого экономического чуда. До 1948 в трех оккупационных зонах на территории Германии практически осуществлялось плановое руководство экономикой. В стране насчитывалось полтора миллиона безработных, основные продукты питания распределялись по карточкам, процветал черный рынок. О всеобщем благосостоянии, полной занятости и системе социального страхования можно было только мечтать.

Для основоположников концепции социально-ориентированной рыночной экономики главным экономическим вопросом был не вопрос о собственности, а вопрос о системе управления. При частной собственности на средства производства создаются условия для децентрализованного планирования, осуществляемого самими субъектами хозяйственной деятельности. Главным инструментом регулирования рынка является механизм спроса и предложения. Экономика свободной конкуренции более эффективна, поэтому она, в отличие от плановой экономики, создает условия и для осуществления социальных проектов.

Само слово «социальный» имело для немецких экономистов несколько значений. Во-первых, социальных аспект заключается уже в самом регулировании производства с учетом пожеланий потребителя. Во-вторых, конкуренция обуславливает повышение производительности. В-третьих, эффективная экономика позволяет посредством государственного перераспределения доходов финансировать социальные программы: компенсационные выплаты, пенсии, дотации на жилье и т.д.

Первым шагом на пути построения модели социально-ориентированной рыночной экономики стала валютно-финансовая реформа. Была введена немецкая марка и отменено замораживание цен (цены были отпущены). Критики позиции Людвига Эрхарда опасались галопирующей инфляции и взвинчивания цен, но этого не произошло. Вскоре были приняты закон о картелях и закон против недобросовестной конкуренции. Для поддержания стабильного курса государственной валюты был создан эмиссионный банк. Для Германии началась эпоха экономического процветания, длившаяся до середины 60-х гг.

Aufgabe 7. Lesen Sie den Text und füllen Sie die Tabelle aus. Tragen Sie in die linke Spalte die Merkmale ein, die die heutige Wirtschaftslage in Deutschland charakterisieren. Schreiben Sie in die rechte Spalte, welche Maßnahmen vorgeschlagen werden, um die Situation zu korrigieren.

 

die heutige Wirtschaftslage in Deutschland Reformvorschläge
1. 2.   1. 2.  

Der wankende Staat

Deutschland hat die Wahl: Entweder wird der Sozialstaat abgebaut oder stärker über Steuern finanziert. Doch weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb wollen sich entscheiden.

In den Konzernzentralen wächst die Rendite, in den Hochhaussiedlungen steigt die Arbeitslosigkeit, in den staatlichen Schulen bröckeln die Wände. Die Regierung hat kein Geld. So beschreibt es der Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith. Er beklagt einen Gegensatz zwischen»öffentlicher Armut und privatem Reichtum«und löst eine heftige Diskussion über die Rolle des Staates aus. In den USA, Ende der fünfziger Jahre.

In den Konzernzentralen wächst die Rendite, in den Hochhaussiedlungen steigt die Arbeitslosigkeit, in den staatlichen Schulen bröckeln die Wände. Die Regierung hat kein Geld. So beschrieb es der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering. Er beklagte die wachsende Macht des Kapitals und löste eine heftige Debatte über die Rolle des Staates aus. In Deutschland, im Jahr 2005.

Es ist eine Debatte, die in diesen Tagen eine ganz neue Dynamik erhält.

»Damals bei Galbraith ging es darum, ob der Staat stärker werden will«, sagt Fritz Scharpf, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln.»Heute geht es darum, ob er stärker werden kann.«Denn ein starker Staat ist heute in erster Linie ein finanzstarker Staat. Nur eine Regierung, die Geld hat, kann Schulen und Straßen bauen und Sozialleistungen auszahlen. Der deutsche Finanzminister Hans Eichel aber wankt von Haushaltsloch zu Haushaltsloch. Die Bundesregierung kürzt, wo sie nur kürzen kann, ob beim Arbeitslosengeld, bei den Beamtengehältern, dem Straßenbau oder den Zuschüssen zur Rentenkasse. Die Städte kürzen die Mittel für Altenzentren und Büchereien und verkaufen mitunter sogar ihre Straßenlaternen. Die Länder senken die Leistungen für Asylbewerber, kappen das Blindengeld, reduzieren Zuschüsse für Museen und Theater, und fast jede Landesregierung schiebt die Sanierung von Schulen auf und streicht Lehrerstellen – Pisa hin oder her.

Was bleibt ihnen auch übrig? Theoretisch könnten neue Steuern und Sozialabgaben neues Geld einbringen, aber in der Praxis? Höhere Sozialabgaben machen Arbeitsplätze teurer, dann streichen die Betriebe noch mehr Jobs. Höhere Unternehmensteuern belasten den Standort, dann gehen noch mehr Firmen ins Ausland. Höhere Einkommensteuern sorgen dafür, dass den Bürgern weniger Geld bleibt, dann bricht die Binnennachfrage noch weiter ein. Kurz:»Wir brauchten eigentlich mehr Umverteilung, um die Verlierer der Globalisierung zu entschädigen, aber es wird immer schwieriger, dafür die Mittel aufzubringen«, so Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ifo-Instituts.

Wie also kann sich der Staat in Zeiten weltweiter Konkurrenz noch finanzieren, ohne der Volkswirtschaft zu schaden?

Womöglich gar nicht. Womöglich wird der künftigen Bundesregierung nichts anderes übrig bleiben, als weitere Teile der Gesellschaft dem Markt zu überlassen. In angelsächsischen Erfolgsländern wie Irland, Kanada oder den USA kassiert der Staat im Durchschnitt nicht einmal 30 Cent von jedem erwirtschafteten Euro oder Dollar. Nun ist die Ökonomie gerade in diesen Ländern in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen, die Arbeitslosigkeit ist niedrig. In der Mitte Europas dagegen, in Deutschland, Frankreich oder Italien, liegt die Steuer- und Abgabenquote bei rund 40 Prozent. Dort wächst die Wirtschaft langsam, die Arbeitslosigkeit ist hoch.

In den skandinavischen Ländern Dänemark oder Schweden beansprucht der Staat sogar rund die Hälfte der Wirtschaftsleistung für sich. Trotzdem sind dort die Wachstumsraten hoch. Kaum jemand ist längere Zeit ohne Job.»Es gibt keine klare Korrelation zwischen der gesamten Steuer- oder Abgabenlast in einem Land und seiner allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit oder der Wachstumsrate «, sagt Stéphane Garelli, Professor an der Managementschule IMD in Lausanne. Wichtiger sei, über welche Art von Steuern sich ein Staat zu finanzieren versuche.

Tatsächlich unterscheiden Fachleute seit längerem drei Modelle des Sozialstaats:

Das angelsächsische Modell, das kontinentaleuropäische Modell und das skandinavische Modell. Lange sah es so aus, als seien alle drei Varianten gleichermaßen geeignet, das Staatswesen zu organisieren, ohne die Wirtschaft zu schwächen. Dann rutschte Deutschland von einer Konjunkturkrise in die nächste, die Arbeitslosigkeit stieg, die Wiedervereinigung verursachte zusätzliche Kosten. Um den Aufbau Ost finanzieren und weiterhin ausreichend Renten und Arbeitslosengeld zahlen zu können, erhöhte schon die Regierung Kohl die Sozialabgaben. So wurde eine Entwicklung beschleunigt, bei der die Lohnnebenkosten stiegen und stiegen, reguläre Jobs immer teurer wurden – und deshalb auch immer seltener. Die dadurch wachsende Arbeitslosigkeit riss neue Löcher in die Sozialkassen, was Jobs weiter verteuerte. Ein Teufelskreis, aus dem es nach Meinung vieler Experten keinen systemkonformen Ausweg mehr gibt.»Das kontinentaleuropäische Modell, wie es in Deutschland oder Frankreich praktiziert wird, ist gescheitert«, sagt Stefan Collignon, Ökonomieprofessor in Harvard.

Weshalb sich all jene, die dem Kapitalismus weiterhin misstrauen, eine neue Frage stellen: Warum können sich Schweden oder Dänen immer noch den üppigen Sozialstaat leisten, der hierzulande unfinanzierbar erscheint?

Die Erklärung wirkt zunächst ziemlich kapitalistisch: Die Nordeuropäer holen sich das Geld vom Verbraucher und vom normalen Steuerzahler – während sie Unternehmen weitgehend schonen. Dazu dienen vor allem zwei Hebel. Einer besteht in einer hohen Mehrwertsteuer. Wenn sich zum Beispiel eine dänische Familie für 1000 Euro einen neuen Kleiderschrank kauft, werden dabei 250 Euro Mehrwertsteuer fällig. Mit diesem Geld bezuschusst der dänische Staat Kindergärten, staatliche Renten oder auch die Arbeitslosenversicherung, die zu rund 80 Prozent über Steuern finanziert wird. Der Vorteil: Die Sozialkosten benachteiligen die Produzenten in Dänemark nicht mehr gegenüber Konkurrenzländern mit billigen Löhnen.

Der zweite Hebel, den die Skandinavier nutzen, ist die duale Einkommensteuer. Sie besteuert Arbeitslöhne hoch, während Einkünfte aus Kapital – etwa Unternehmensgewinne, Zinsen und Dividenden – kaum belastet werden. So haben Finnland, Norwegen und Schweden in den vergangenen 15 Jahren ihre Steuersätze für Kapitaleinkommen halbiert. Statt bisher maximal 72 Prozent verlangen sie nur noch 28 bis 30 Prozent. Diese Sätze gehören zu den niedrigsten aller Industrieländer. Dafür ist die Steuerbelastung für Arbeitnehmer in Skandinavien, trotz leichter Entlastungen, immer noch sehr hoch. Allerdings trifft es vor allem die Besserverdiener. Die Spitzensteuersätze liegen bei 52 bis 56 Prozent. Weshalb der Kölner Sozialforscher Fritz Scharpf das skandinavische System auch als»Sozialismus innerhalb einer Klasse«bezeichnet. Die Umverteilung findet nicht mehr zwischen Kapital und Arbeit statt, sondern nur noch zwischen besser und schlechter verdienenden Arbeitern und Angestellten, dort allerdings umso deutlicher.

Ein Weg, der nach Ansicht von Wirtschaftsforschern auch hierzulande gangbar wäre. Würde die künftige Bundesregierung das Sozialsystem stärker über Steuern statt über Abgaben auf die Löhne finanzieren, brächte das neuen Schwung in den Arbeitsmarkt. Die Lohnnebenkosten sänken, zusätzliche Jobs würden wieder rentabel.

Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) brächte es weit mehr als 500000 neue Jobs, wenn wenigstens jener Teil des Sozialsystems über Steuern finanziert würde, der sowieso nicht in die Sozialversicherung gehöre: die so genannten versicherungsfremden Leistungen. Etwa das Mutterschaftsgeld, Frührenten oder von der Bundesagentur für Arbeit bezahlte Weiterbildungskurse. Das alles seien Aufgaben, so das DIW, für die eigentlich nicht nur die Beitragszahler, sondern die Allgemeinheit, also alle Steuerzahler aufkommen sollten.

Zusammen mit den Kosten, die den Sozialversicherungen im Rahmen der Wiedervereinigung aufgebürdet worden seien, gehe es um rund 84 Milliarden Euro. Würde man dieses Geld künftig über Steuern statt über Abgaben aufbringen, dann würden vor allem»Fehlentwicklungen des letzten Jahrzehnts korrigiert«, schreiben die Experten des DIW.

Welche Steuern im Gegenzug erhöht werden sollten, dazu gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Die DIW-Forscher empfehlen eine Kombination aus Mehrwert-, Lohn-, Einkommens- und Körperschaftsteuer und eventuell ergänzend auch noch die Wiederauflage einer Vermögenssteuer. Fachleute am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg, die ähnliche Berechnungen angestellt haben, betonen, man könne zur Gegenfinanzierung die Mehrwertsteuer auch zeitversetzt erhöhen, also etwa ein Jahr nach der Senkung der Lohnnebenkosten. Dadurch soll verhindert werden, dass die Konsumnachfrage absackt.

Der Wirtschafts-Sachverständigenrat schließlich hält die in Skandinavien gängige duale Einkommenssteuer für eine Reformoption. Über dieses Modell, erklärten die Regierungsberater, könne sich der Staat seine Mittel beschaffen, ohne das zunehmend mobile Kapital zu vertreiben:»Dies führt zu einer Verbesserung der Wachstumsbedingungen und der Chancen der Arbeitnehmer auf höhere Einkommen.«

Bei Reformen nach diesem Muster müsste der Staat nicht schrumpfen, er würde nur anders finanziert. Wirkungsvoller könnte der Staat werden, wenn er zudem das Sozialsystem besser organisierte.»In Deutschland gehen die meisten Steuern und Transfers von der rechten in die linke Tasche«, klagt Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Statt die wirklich Bedürftigen zu fördern, würden hierzulande vor allem Angehörige der Mittelklasse durch staatliche Leistungen, etwa im Bildungssystem, unterstützt – also jene, die auch hohe Abgaben zahlten und unter dem Strich in etwa so viel bekämen, wie ihnen genommen werde. Wozu also das Ganze?

»Wir müssen den Sozialstaat effizienter gestalten«, verlangt auch ifo-Chef Hans-Werner Sinn. Etwa, indem Arbeitslose mehr Geld als Zuschuss zu eigenen Verdiensten erhielten, statt über das Arbeitslosengeld fürs Nichtstun bezahlt zu werden.

»Deutschland steht wie Buridans Esel zwischen den beiden Heuhaufen und kann sich nicht entscheiden«, sagt Stephan Leibfried, Professor für Sozialpolitik an der Universität Bremen. Soll heißen, die Regierung hat einerseits in den vergangenen Jahren die Steuern für Unternehmer wie Arbeitnehmer kräftig gesenkt. Inzwischen ist die Steuerquote in Deutschland so niedrig wie in kaum einem anderen Industrieland. Andererseits werden fast nirgendwo so hohe Sozialabgaben erhoben wie hierzulande. Gleichzeitig reduziert der Staat die soziale Sicherung. So schwankt die Regierung zwischen dem angelsächsischen Modell des starken Marktes und dem skandinavischen Modell des starken Staates hin und her, ohne sich zu einem von beiden durchzuringen.

So wie der Esel in den Schriften des französischen Philosophen Jean Buridan. Am Ende ist er verhungert.

Von Kolja Rudzio und Wolfgang Uchatius

 

Texterläuterungen

Rot-Grün – Koalition der SPD und der Grünen

Schwarz-Gelb – Koalition CDU/CSU

 

Aufgabe 8. Sehen Sie das folgende Textfragment durch und markieren Sie darin Synonyme zum Verb „senken“.

a) Mit welchen Substantiven sind sie in diesem Textfragment verbunden? Schlagen Sie im Wörterbuch nach, mit welchen Substantiven sie sich noch gebrauchen lassen. Bilden Sie eigene Beispiele mit diesen Verben.

Die Bundesregierung kürzt, wo sie nur kürzen kann, ob beim Arbeitslosengeld, bei den Beamtengehältern, dem Straßenbau oder den Zuschüssen zur Rentenkasse. Die Städte kürzen die Mittel für Altenzentren und Büchereien und verkaufen mitunter sogar ihre Straßenlaternen. Die Länder senken die Leistungen für Asylbewerber, kappen das Blindengeld, reduzieren Zuschüsse für Museen und Theater, und fast jede Landesregierung schiebt die Sanierung von Schulen auf und streicht Lehrerstellen – Pisa hin oder her.

b) Finden Sie im Text Antonyme zu dieser Gruppe von Verben.

Aufgabe 9. Kombinieren Sie die Verben aus der rechten Spalte mit den Substantiven aus der linken Spalte. Gebrauchen Sie diese Wortverbindungen in Sätzen.

der Sozialstaat die Diskussion der Standort die Binnennachfrage die Mittel (Pl.) Jobs die Wirtschaft die Produzenten Arbeitslöhne die Debatte die Investoren die Bedürftigen streichen belasten abschrecken fördern erhalten besteuern benachteiligen abbauen auslösen einbrechen aufbringen schwächen

Aufgabe 10. Erklären Sie den Unterschied zwischen folgenden Begriffen:

1. Beitragszahler – Steuerzahler

2. Steuern – Sozialabgaben

 

Aufgabe 11. Recherchieren Sie im Internet:

1) welche Sozialabgaben werden von deutschen Arbeitgebern gezahlt;

2) was gehört zum Begriff „Lohnnebenkosten“?

Präsentieren Sie die Resultate Ihrer Recherchen im Plenum.

 

Aufgabe 12. Kommentieren Sie die folgenden Zitate:

1.»Damals bei Galbraith ging es darum, ob der Staat stärker werden will. Heute geht es darum, ob er stärker werden kann.«(Fritz Scharpf, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln)

2.»Wir brauchten eigentlich mehr Umverteilung, um die Verlierer der Globalisierung zu entschädigen, aber es wird immer schwieriger, dafür die Mittel aufzubringen.«(Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ifo-Instituts.

3.»Es gibt keine klare Korrelation zwischen der gesamten Steuer- oder Abgabenlast in einem Land und seiner allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit oder der Wachstumsrate.«(Stéphane Garelli, Professor an der Managementschule IMD in Lausanne)

4.»Das kontinentaleuropäische Modell, wie es in Deutschland oder Frankreich praktiziert wird, ist gescheitert.«(Stefan Collignon, Ökonomieprofessor in Harvard)

5.»Sozialismus innerhalb einer Klasse«(der Kölner Sozialforscher Fritz Scharpf über das skandinavische System)

6.»In Deutschland gehen die meisten Steuern und Transfers von der rechten in die linke Tasche.«(Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft)

7.»Deutschland steht wie Buridans Esel zwischen den beiden Heuhaufen und kann sich nicht entscheiden.«(Stephan Leibfried, Professor für Sozialpolitik an der Universität Bremen)

 

Aufgabe 13. Rollenspiel: Sie sind Experten - Verfechter des skandinavischen und des angelsächsischen Models. Arbeiten Sie Reformvorschläge für Deutschland aus, die dem Wesen „Ihrer“ Modelle entsprechen.

 

 

Das kontinental-europäische Modell (am Beispiel Frankreichs und Österreichs)

 

Aufgabe 1. Wie verstehen Sie den Texttitel “Frankreichs Ghettowirtschaft”? Was gehört für Sie zum Begriff „Ghettowirtschaft“? Was ist Ihnen schon über die wirtschaftliche und politische Situation Frankreichs bekannt?

Aufgabe 2. Lesen Sie den Text und teilen Sie ihn in Sinnabschnitte. Betiteln Sie jeden Abschnitt.

 

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