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Der Inseltraum.




Hermann Hesse

Eine Stunde hinter
Mitternacht

Streute ewiger Lenz dort nicht auf stiller Flur

Buntes Leben umher? Spann nicht der Frieden dort

Feste Weben? Und blü hte

Dort nicht ewig, was Einmal wuchs?

Novalis.

Der Inseltraum.

 

Eine langhin gewö lbte, sanfte Welle hob meinen Kahn mit dem gerundeten Bug auf das Gestein. Ein schiffbrü chiger Trä umer verliess die Ruderbank und dehnte die Arme dem stummen Lande entgegen. Mein purpurner Mantel war mü rbe geworden und warf von den Hü ften abwä rts weiche demü tige Falten. Meine Arme und mein Hals waren von Rudern und Fasten mager geworden, mein Haar war lang gewachsen und bog sich in dichter Fü lle in den Nacken. In dem dunkelgrü nen, stillen Gewä sser der Bucht lag mein Spiegelbild gebreitet, und ich sah, dass auf der langen Fahrt alles an mir anders geworden war, brauner, schlanker und biegsamer. Auf meinen Wangen hatten grausame Stunden Denkmale ihrer Gefahren und Niederlagen und Ü berwindungen geschaffen. Alle Morgen ohne Sonne, an denen ich mit wunden Gliedern an mein Fahrzeug geklammert hing, alle Stü rme, die mir die Abgrü nde des Meeres zeigten, hatten sich mir in Ecken und Furchen mit tiefer Schrift auf Wangen und Hals geschrieben.

Aber meine Augen standen klar in weiten Hö hlen, mit wachsamen Kinderblicken. Sie hatten viele Nä chte durchwacht und nach den ewigen Sternen gesucht und die farbigen Nä chte des Meeres aufmerksam durchdrungen nach aufsteigenden Segeln oder Gestaden. Sie hatten viele Tage lang keinen Staub gesehen und selten nur mit lä chelnder Sehnsucht von ferne das Grü n vorü bergleitender Wä lder und den Rauch aus fernen, verborgenen Stä dten gestreift. Nun lachten sie hell und gross mich aus dem glatten Spiegel an. Und nun tranken sie den lange entbehrten Anblick der weissen Steine, der brä unlichen Erde, der Grä ser und Gebü sche. Ich sah die Luft um die Gebü sche wie einen feinen, weisslichen Rand, denn ich war lange der Luft entwö hnt, welche ü ber Erde und Grü nem ist. Meine Nü stern sogen mit scheuer Lust den vollen, zä rtlichen Duft der Wiese und des nackten Bodens, und mein Fuss trat stark und schonend zugleich auf das kö stliche Gut des festen Erdreiches.

Ein Wind kam lä ssig vom Lande zu mir geflogen. Er trug einen Geruch von Waldkraut und einen leisen Duft aus entfernten Gä rten. Da reckte ich in sü sser Wonne ihm beide Arme weit entgegen und fü hlte mit Lust seinen weichen Hauch meinen Fingern und Hä nden entlang und an meinen Schlä fen hin gleiten, die der schneidenden Seewinde gewohnt waren.

Ich zog mein graues Boot auf den Sand und strich mit der Rechten ü ber die harte Wö lbung des Bordes, die von meinen klammernden Hä nden geglä ttet war. Darauf wandelte ich landeinwä rts bis zu dem hohen Gebü sche, das dicht und ringfö rmig wie eine Mauer stand und sich weiter erstreckte, als meine Blicke reichten. Ich ging der grü nen Hecke entlang und freute mich des warmen, blä ulichen Schattens, der von grü ngoldenen Lichtern durchwirkt war. Mein Gang fü hrte ü ber eine Wiese mit weichen Grä sern, welche allmä hlich hö her wurden und mit seidenen Blü ten meine Kniee berü hrten. Die grasige Flä che lag im hellen Sonnenlicht, nur der Rand, den ich entlang schritt, war von den hohen Bü schen mit einem gleichmä ssigen Schattenbande gesä umt.

Indem ich weiter schritt und eine linde Mü digkeit meine Kniee leicht befing, that sich zu meiner Linken ein schmaler Eingang, einem Thore ä hnlich, in die Gebü sche auf. Ich erblickte ein grü nes Dunkel, von einem Muschelpfad durchschnitten, und im Hintergrunde ragende Baumkronen. Der Eingang aber war durch eine kü nstlich gewundene Blumenkette verboten. Ich stand eine Weile, und meine Augen badeten sich in dem zarten Dä mmer und erfreuten sich an der Stufenfolge sanfter Farben. Denn von der lichtgrü nen Hecke bis zu den halbsichtbaren Geheimnissen des innersten Haines zerfloss das Grü n in tausend Schatten; das Auge folgte begierig dem mä hlich vertieften Dunkel bis zu den entferntesten, braunen Waldfarben und kehrte mit neuer Lust zu dem gelblichen Licht der besonnten Wiese zurü ck.

Ich lö ste die Blumenkette in frö hlichem Ü bermut von den rundkö pfigen Pfeilern, dass der Eingang offen lag, und schlang das rot und weisse Gewinde um Hals und Hü ften, so dass ich wie zu einem Sommerfeste geziert war. Darauf ging ich behutsamen Schrittes dem halben Dunkel entgegen. Ich fand ein genaues Kreisrund aus dem Dickicht geschnitten, mit dichten Wä nden von jungen Stä mmen und Bü schen, und auch der schmale Pfad war kü nstlich durch das wilde Gehö lz gehauen. Durch die Wipfel ü berhä ngender Bä ume sank ein braun und grü nes Licht. In dem runden Aushau war die Erde mit hellem Sande bestreut, und zwei schmale, halbrunde Sitzbä nke aus Marmor standen einander gegenü ber. Eine tiefe Waldstille lag darauf. Ich wandte mich und folgte dem Pfad, der in die Tiefe des Haines fü hrte. Mein Haupt ward von dem ungewö hnten Dufte schwer und ich hö rte das Klingen meines raschen Blutes.

Als ich einige Zeit gegangen war, wuchs die Schwere meiner Kniee, und ich ersehnte einen Ort zu ruhen. Indem bog sich mein Weg und wurde breiter, und die auf beiden Seiten schnell zurü cktretenden Waldwä nde gö nnten den Anblick eines lichten Raumes, welcher sich weit ausdehnte und wie ein Garten anzusehen war. Viele breite und schmale Wege, oft von Gebü sch gesä umt, schlangen sich um Rasenflä chen und um Beete, in welchen Rosen und andere vielfarbige Blumen in Pracht und Fü lle wohlgepflegt und ohne braune Blä tter standen. In der Mitte des ebenen Gartens erblickte ich edle Gruppen alter Bä ume, hinter denen ein Bau, Palast oder Tempel, aus Marmor in dä mmerndem Weiss sich zeigte.

Eine niedrige Bank, von grossen Cypressen ganz beschattet, zog mich an. Ich setzte mich in den weichen Rasen und lehnte das Haupt mit darunter gekreuzten Armen gegen den steinernen Sitz, wie ich zuweilen in stillen Nä chten an meiner Ruderbank gelegen hatte. Ich schaute hoch ü ber mir den weiten Himmel in wunderbarer Blä ue und wenig kleine, blanke Flaumwö lklein ruhig stehend, dann schloss ich die Augen und ergö tzte mich an dem roten Schimmer, der mir durch die Lider drang. Darauf neigte der Gott des Schlafes sich ü ber mich und lö ste mir wohlthä tig die mü den Glieder.

Meine Seele hob die Schwingen im Traum; die Bilder von gestern und ehegestern erwachten zu neuer Schrecknis oder Trauer. Das Meer umdrä ngte mein Fahrzeug mit peitschenden Wassern und der Himmel zü rnte in Unwettern. Und gewaltiger als der Himmel lag die lautlose, lang ersehnte, schwer zu tragende Einsamkeit ü ber mir. Und dahinter das Land, aus dem ich mich gerissen, mit gerä uschvollen Stä dten. Ein mü des Echo, ein halbverlorener Duft, ein halbvergessenes Jugendlied — so war in Schmutz und Gerä usch ein Schimmer von Schö nheit und Kunst gegossen. Wie oftmals sah ich dort ihr scheues Licht in ä ngstlichen Reflexen, und zitterte mit ihr, und litt mit ihr! Ferner noch mit altmodisch lichten Himmeln lagen die Frü hlinge meiner Kindheit und rü hrten mit zä rtlichem Dufte an mein Herz.

Auf leisen Fittichen flog mein Traum ü ber die verschlungenen Pfade meines Lebens zurü ck bis zu den ersten Sonnenaufgä ngen, und schwebte lang in verflogener Schwermut ü ber den ersten Bergen, die ich erstieg, und ü ber dem Haus meines Vaters.

 

Die Sonne war ü ber die Rä nder der Cypressenwand gestiegen und traf meine schlummernden Augen mit heissem Lichte. Ich hob das Haupt und erwachte zum neuen Anblick des tiefen Himmels und des grü nen Gartenlandes.

Helle Stimmen klangen in mein Ohr und ich hö rte, dass es Menschenstimmen waren, welche in ü bermü tigen Rufen ihre Lust kundgaben. Es war aber in diesen Stimmen ein reiner, meertiefer, metallener Grund, den ich nie bei Menschen vernommen hatte und welcher an den unberü hrten ersten Fall einer frischen Quelle erinnerte, so ohne Wissen von Unrat und so voll von Lust am Leben und an der eigenen Schö nheit. Es war darin der starke und sü sse Ton, den wir mit unbeschreiblicher Beklemmung zu hö ren vermeinen, so oft unsre Seele mit den Menschengeschlechtern der alten, goldenen Zeitalter traurige Unterredungen pflegt.

Indem ich vorsichtig die breiten Fä cher der Zweige teilte, erblickte ich eine Schaar junger Frauen mit schlanken Leibern um einen vergoldeten Ball bemü ht. Sie waren in zwei Lager geteilt und fü hrten einen anmutigen Krieg um den Besitz des blanken Zierats, den ein lachendes Mä dchen immer von neuem ü ber ihre Hä upter hin empor warf. Sie trugen helle, weite Gewä nder und die Haare zumeist in einfache Knoten gebü ndelt. Ich sah die reinen Linien der Hä lse und Nacken, wenn sie sich bü ckten oder mit ganz zurü ckgelegten Hä uptern nach dem Fall des Spielzeuges spä hten. Ich sah die zarten Grü bchenformen der Knö chel, ü ber denen sich goldene oder weisse Sandalenbä nder kreuzten. Ich sah die bewegten schlanken Leiber, beim Laufen vorgebeugt, und die schö nen, leicht gerö teten Arme, die sich hä ufig aus den weichen Falten der Oberkleider reckten.

Plö tzlich vernahm ich ein Wipfelzittern ü ber mir, und der goldene Ball fiel neben mich weich in den Rasen. Ich nahm ihn auf, und mein Herz begann mit hastigen Schlä gen zu pochen wie Einem, der einer grossen Gefahr oder einem grossen Glü cke unvermutet ins Auge sieht. Die Spielerinnen eilten schon meinem Versteck entgegen.

Ich brach durch den Busch und stand wie ein Gespenst vor der hellen Schaar, den Ball in der Rechten hoch empor haltend. Ich warf ihn in die Lü fte, aber sie wichen seinem Falle aus und standen mit erstaunten Augen vor dem Fremden. Da ich nä her schritt, teilte sich ihre Menge und liess eine breite Gasse meinem Wandel frei. Aufschauend gewahrte ich eine hohe Frau mir nahe gegenü ber stehen, welche die Schö nste und die Kö nigin der andern war.

Ich schlug den Blick zum Boden nieder und neigte mich vor ihr. Ein weisses Kleid floss in priesterlichen Falten lang von ihren Knieen, und sie war von einer solchen Reinheit und Wü rde umgeben, dass plö tzlich mein Sinn klein und voll Scham wurde. Alle Irrwege, die ich gegangen war, alle Lä sterungen, die ich gethan hatte, und alles Hä ssliche und Kranke meines unstä ten Lebens ward mir schwer bewusst, und aller Glanz und Stolz fiel von mir ab. Ich lag auf den Knieen und beugte mein Haupt in Scham und Demut, da sie ihre reine Stimme erhob. Ihre Stimme war voller und prä chtiger als die Stimmen der ü brigen Frauen, und hatte einen fü rstlich hohen Ton, vor dem meine Scheu erschrak. „Was suchst du hier, mein Freund, und wie hast du den Weg zu uns gefunden? “

Ich schaute auf und sah grosse Augen ernst auf mich gesenkt. „Den Weg zu dir fand ich durch hundert einsame Tage und Nä chte auf dem feindlichen Meer, durch hundert Ä ngste und bange Nachtwachen. Mein Arm ist hager geworden von der Mü hsal der Fahrt, und meine Hä nde sind wund geworden. Ich trage einen Purpur, der aus deinem Lande ist und von dir mir in die Wiege ist gelegt worden. Aber meine Hä nde sind befleckt und meine Augen voll Ekels geworden, ich bin mü de und unwert, den Purpur lä nger zu tragen, der fü r frohe Hä nde und selige Augen bestimmt ist. Und bin gekommen, ihn zurü ckzugeben. “

„So wenig gilt dir der kö nigliche Schmuck? “ fragte die Kö nigin und heftete wieder unbeweglich den ernsten Blick auf mich. „Ich kenne dich wohl, du Mü der. Ich bin ü ber deinem Leben gewesen, ich habe deiner Kindersehnsucht von blauen Bergen und deiner Knabenfrö mmigkeit von Gö ttern erzä hlt. Ich zeigte manches Mal deiner Ahnung die Bilder und Gleichnisse der Schö nheit. Warst du es nicht, der die Tempel, in welchen ich dich beten lehrte, zerstö rt und der die Gä rten der Liebe, deren Pforte ich dir zeigte, geschä ndet hat? Warst du es nicht, der die Lieder, die ich dich singen lehrte, in Gassenlieder verkehrte und der die Becher der Freude, die ich dir reichte, zur Trunkenheit missbrauchte? “

„Ich war es. Ich ging in der Irre, so oft du mir ferne warst. Ich habe oft die Arme verlangend nach dir gebreitet und habe nach dir gerufen und alles Ehrwü rdige meiner frü hesten Jugend beschworen, aber du erhö rtest mich nicht, und das Leben rollte tot an mir vorü ber. Da verzweifelte mein Herz und fluchte seinen Gö ttern und sank von allen Hö hen. Ich bin nun mü de des Fallens und Wiederaufstehens — nimm dein Geschenk wieder, leg’ es auf hä rtere Schultern, und lass mich werden, wie andre sind! “

Die Kö nigin schaute zur Seite. Ich wagte einen schnellen Blick auf ihr Gesicht, das mir eigen vertraut erschien, und sah den Schatten eines Lä chelns darauf. „Mich wundert“, sagte sie, „dass solcher Kleinmut den beschwerlichen Weg zu unsrer Insel gefunden hat. “

„Nicht Kleinmut, meine Kö nigin! Mich trieb der Ekel vom Leben, mich stiess der Dunst der Stä dte und die gerä uschvolle Lust ihrer Tempel von sich, auf der Fahrt wuchs noch tä glich mein Verlangen nach deinem Anblick. Arbeit und Gefahr hat mich herb gemacht, die Einsamkeit befreite mein Auge von den Dü nsten des verlassenen Lebens. Und da ich dein Land mit sanften Hö hen aus blaueren Meeren langsam erstehen sah, da lernte mein verjü ngtes Herz einen neuen, frö hlichen Stolz. Als ich deinen Boden betrat, reckte ich Beterarme nach seinen Wundern aus, ich ging durch deinen Wald als ein Wiedergeborener. Wahrlich, fester zog ich den Purpur um meine Schultern und mein Gang war nicht der Gang eines Bü ssers. Hinter jenem Dickicht lag ich im Grase gestreckt und belauschte das Spiel deiner Frauen, und mein Herz schlug tiefe Schlä ge. Aber mein Auge ertrug deinen Anblick nicht; alles was unwert und krank an mir ist, ü bermannte mich vor deiner Reinheit. “

„Steh auf! “ sagte sie nun mit einem gü tig tiefen Ton, „und drä nge mich nicht um eine Antwort. Sei mein Gast und versuche noch einmal, unter meiner Herrschaft zu leben! “ Ich erhob mich mit unsicherem Blick. Die Schö nste aber nahm meine linke Hand und fü hrte mich zu den wartenden Frauen. „Begrü sse meine Freundinnen“, sagte sie, „und sieh, ob nicht eine dir bekannt ist. “ Da geschah meinem Auge etwas Seltsames, indem ich mit einem freien Grusse unter die schö nen Gestalten trat. Ü berall sahen bekannte Augen mich an, ich fand Bewegungen und Blicke, die ich zu andern Zeiten schon gesehen hatte, und wunderte mich, dass ich die Schö nen nicht mit Namen zu nennen vermochte. Allmä hlich erkannte ich einige, und bald merkte ich wohl, dass alle schö nen Frauen, die ich gekannt und bewundert hatte, hier versammelt waren. Eine jede aber war nur kenntlich durch eben die besonderen Seltenheiten, durch welche sie fü r mein Auge irgend einmal reizend, verschieden von den andern und schö ner als die andern, hervorgetreten war. Alle Augenblicke meines Lebens, welche durch den Anblick der Frauenschö nheit wertvoll und liebenswert geworden waren, lebten hier unvergä nglich in herrlichen und vollkommenen Bildern. Von diesen Frauen konnte keine den ü brigen vorgezogen oder nachgesetzt werden, nur die einzige Kö nigin vereinigte auf eine wunderbare Art die vielfachen besonderen Schö nheiten in ihrem vollkommenen Wuchse und in der Bildung ihres Angesichts, dessen Wü rde und Lieblichkeit ich ü ber alle Bilder und Lobpreisungen erhaben fand. Ihre Augen aber, wenn sie die meinigen ruhig und freundlich trafen, riefen in mir den Frü hling meiner ersten Liebe mit aller verlorenen und beweinten scheuen Wonne wach.

 

Die Nacht zog ihren schwarzen Kreis enger um die Gä rten; sie kam rasch und herrisch wie die Nä chte des Sü dens. Nach einander versanken Hü gel, Wald und Gebü sche, bis auch die nahestehenden schnell und lautlos sich verhü llten und plö tzlich in das Reich der Geheimnisse verschwanden.

Ich sass zu Fü ssen der Kö nigin in dem weiten Halbrund einer offenen Halle. Die schweren Sä ulen hoben sich rein und ruhig, Wä chtern gleich, von der matthellen Himmelsferne ab. Zwei rote Feuer brannten am Eingang in steinernen Becken, ü ber uns hing eine silberne, vierflammige Ampel. Von drei Seiten kam die schwere Nachtluft herein und fü hrte den Duft des wohlriechenden Ö les in langsamen Wogen davon. Das Meer, dessen Gerä usch am Tage nicht bis in den Palast und die Gä rten reichte, sang gedä mpft in grossen Rhythmen. Der Gesang der Frauen war kaum verstummt und in der Luft lag noch ein feiner Nachhall festlicher Melodien. Mir wurde eine kleine fü nfsaitige Laute gebracht, die Augen der Wartenden hingen an meinem Munde. Ich schloss die Augen und sog den Duft der Nacht und fü hlte ihr lindes Wehen in meinem Haar. Mein Herz war voll wehen Glü ckes und meine Stimme zitterte, als ich zu singen begann. Mein Finger rü hrte an die feinen Saiten — ich hatte lange Zeit nimmer gesungen, der Takt und Tonfall der Verse stieg mir neu und berü ckend zu Haupt.

Ich sang von einem vergangenen Sommer, da zum ersten Mal mein Knabenauge an der Gestalt und dem Gange eines jungen Weibes hing. Und sang von den spä ten Abenden, da der Lindenduft schwoll und da ich mein wehes Verlangen mit wilden Schlä gen ü ber den schwarzen Weiher ruderte, da ich die Bä nke und Wege und Treppen besuchte und alle Stä tten, an denen ich die schlanke Wohlgestalt des Tages aus banger Ferne erblickt hatte. Von den Tagen, da meine Liebe mich auf heissem Pferde in langen Ritten umhertrieb. Ich gedachte der in Fü lle erblü hten Rosenhecken und pries die schattigen Gä nge, welche der Duft des Jasmin erfü llte.

Von den Frauen lä chelten manche, und manche sahen mich aus grossen Augen ernsthaft an. Als ich den Blick nach der Allerschö nsten wandte, sah ich breite, blä uliche Lider ü ber ihren Augen geschlossen und sah einen holden Mund und feine Wangen in sanften Frü hlingsfarben, und eine blanke Stirn von krausem Blondhaar frö hlich verschattet. Ich erblickte das Bild meiner ersten Liebe, schö n und verzaubert von Erinnerung und Heimweh, wie es manchmal in Lieblingsträ umen mir erschien. Mein Herz war erregt und schwer von Liedern und Sehnsü chten einer andern Zeit. Ich berü hrte die Hand der Kö nigin. „Erinnerst du dich, Lieblichste? “

Sie lä chelte und schlug die Augen auf. „Sag’, bist du nicht glü cklicher als Andere gewesen? “ Ich nickte leise mit dem Haupt und konnte mein Auge nicht von den Lippen wenden, die Elisens Lippen waren.

„Bist du auch dankbar gewesen? “ Da ward ich traurig und musste das Haupt wieder senken. Sie winkte einer der Frauen, welche aus dem mit reicher Kunst aus Silber getriebenen Mischkrug eine leichte Schale mit sü ssem Weine fü llte. Sie nahm das zierliche Gefä ss und bot es mir freundlich hin. „Du bedarfst nun der Ruhe. Trinke und lege dich schlafen. Meine Gastfreundschaft wird deinen Schlummer beschü tzen. “

Ich trank und reichte der Gü tigen dankbar meine Hand. Die schö ne Dienerin ö ffnete mir im Innern des gerä umigen Palastes ein Gemach, entzü ndete eine hä ngende Ampel und verliess mich. Das Gemach war von mä ssiger Grö sse, mit hohen Fensterö ffnungen. In der Mitte war ein niedriges und einfaches Lager bereitet. Ich legte mich nieder und sah die Wä nde entlang in der Hö he des Estrichs einen schmalen Fries gezogen, darauf in halberhabener Arbeit die Tugenden Weisheit, Mä ssigkeit, Gerechtigkeit und Tapferkeit der Schö nheit dienten und Opfer brachten. Die sanften und edlen Formen dieser Bilder breiteten ihre Ruhe und Einfalt auf meinen erregten Sinn und begleiteten ihn als schwebende Traumbilder in den Schlaf.

Als ich am frü hen Morgen stark und frö hlich erwachte, sah ich ü ber mich ein helles Angesicht geneigt, das ganz von langen, mattfarbenen Haaren umkrä nzt war. Mein Herz erkannte das schö ne Bild und begrü sste die Wartende mit dem Namen, den sie trug, als noch ihr leiser Schritt stundenlang neben mir durch Hain und Wiesen ging. „Frau Gertrud! “

„Komm mit, “ rief sie bittend, „wir wollen die Wege aufsuchen, die wir sonst gegangen sind. “ Hinter dem Palast und diesen weit ü berragend war ein Hain alter Platanen, welche in Paare und Gruppen verteilt wie Freunde standen. Frau Gertrud ging neben mir auf dem gewundenen Fusswege. Der Weg aber und der Hain waren vollkommen dem Weg und Hain ä hnlich, in denen wir vor Zeiten zu lustwandeln geliebt hatten. Mein Herz war weich und hö rte Winde und Vogelrufe mit leiser Wehmut klingen. Durch denselben Rasen war mein Fuss einst geschritten, dieselben Winde und Vogelrufe waren einst in mein Ohr gekommen, und ich wusste kaum: war das gestern, oder war’s vor vielen vergessenen Jahren.

„Kennst du ihn? “ fragte Frau Gertrud und legte ihre Hand an den gefleckten Stamm einer Platane, die wir damals, weil sie die ä lteste und hö chste war, den „Vater“ genannt hatten. Ich nickte still. „Und kennst du noch dieses Grü n und Gelb, und diese Wege und Gebü sche? “ Mir war wohl und mü de zu Sinn. Ich nickte still.

„Dein Spä tsommertraum! “ sagte sie. „Dein Liebling! Die Lieder, die du von ihm gedichtet hast, die Tage, an denen du Heimweh nach ihm hattest, die Nä chte, da er Dich auf breiten Flü geln besuchte, deine eigene Erinnerung und Sehnsucht ist es, welche dich umgiebt. “

Ich legte Frau Gertruds schmale Hand in meine Hand und fand wie vormals ein Wohlgefallen an ihrer adligen Form und Weisse, an den blass gezogenen Adern und an dem Hellrot der zarten Finger. „Weisst du noch“, fragte Frau Gertrud, „jenen ersten Mittag unter den ü berhä ngenden Zweigen der Syringen? “

„Ich weiss noch. Ich weiss auch alles noch, was damals war. Wie du mein Trost und Ratgeber warst und an die ferne Mutter mich erinnertest. Ich war krank und verirrt gewesen, da wecktest du, was noch fromm und ehrfü rchtig in mir war. Du lehrtest mich wieder die verlorene Schö nheit suchen und jung werden, wenn ich sie in herrlichen Augenblicken erschaute. “

„Einmal, mein Freund, wolltest du von mir und deinem Glü cke ein Lied erschaffen. Weisst du noch? Deine Tage und Nä chte waren des werdenden Liedes voll, und mit fleissiger Liebe suchtest du nach allem, was selten und kostbar ist, nach Lichtern und Tö nen, die noch kein Kü nstler fand, nach Liebesworten und Worten der Ehrfurcht, die noch kein Dichter sagte. Siehe um dich! Hier liegt in ungehoffter Vollendung dein ganzes Lied. Bä ume und Bü sche in edlen Gruppen, goldene und braune Lichter, Gesä nge auserwä hlter Waldvö gel. Und auch mich siehe an! Was noch klein und zufä llig und kü nstlich an mir war, das ist von mir genommen. Was du hier siehst, das alles ist schö ner als alle Wirklichkeit, und wirklicher als alle Wirklichkeit. Erlausche jeden leisen Tonfall des Windes, trinke mit ungetrü bten Augen die vielerlei Farben des Laubes, sorge, dass dies alles dein eigen werde! In der Ferne wirst du des Nachts erwachen und wirst mit Qualen jeden Laut und jeden Schatten vermissen, dessen dein inneres Auge nicht mehr mä chtig ist. Dann aber wird auf hundert Wegen dein Lied dir entgegenkommen, die Wonnen deiner ersten Gesä nge werden dich heimsuchen, Fremdes wird mit Fremdem sich verbinden, dein Werk wird wachsen und an Leben zunehmen, bis es in einer stillen Stunde die Werkstä tte verlä sst und vollendet, rein und wohllaut vor Dir steht. “

Frau Gertrud schwieg und legte wieder ihre Hand in meine Hand. Das Rauschen entfernter Wasserkü nste klang kü hl und freundlich zu uns her. Ü ber das Himmelsrund, welches von den Platanenwipfeln eingeschlossen war, glitt ohne Flü gelregen langsam hoch oben ein grosser Vogel.

 

Andern Tages wachte ich frü he auf, noch ehe die ersten Vö gel sangen. In der Nacht war ein schwacher Regen gefallen. Die Erde war noch feucht und duftete herb. An den Blä ttern hingen klare Wassertropfen. Mit jedem Schritt und Atemzug fü hlte ich in mir Jugend und Gesundheit. Die Fernen und der krä ftig blaue Himmel hatten ein heiteres und jungfrä uliches Ansehen. Nur vor langer Zeit, als ich ein Knabe war und ehe die Ahnung der Liebe und heissblü tiger Leidenschaften mich umtrieb, hatte die Erde mir dies genü gsam frö hliche Gesicht gezeigt.

Ich schlug einen wenig gepflegten Waldweg ein, der bald gegen die Mitte eines alten Forstes hin mehr und mehr verwilderte. Ein schwerer Wind fuhr ü ber die Kronen alter Eichen, die mit vielfach gekrü mmten Ä sten ü ber ersticktes Untergehö lz hinweg einander umschlangen und gemeinsam als ein einträ chtiges Riesengeschlecht nach Raum und Helle sich streckten. Oft fand ich auf den schwarzen Waldboden scharfe Spuren kleiner Hufe gedrü ckt, den Pfad der Quere schneidend, und einmal meinte ich im Halbdunkel eines nahen Dickichtes den feinen Kopf eines Hirsches sich schlank und kö niglich erheben und wenden zu sehen. Ich spä hte und lauschte und stand manchmal mit verhaltenem Atem lange still, bis meinen oft erregten und getä uschten Sinnen der Wald voll von Erscheinungen und schweigsamen Wundern war. Ein breiter Bach ging brausend ü ber Stein und Moos bergab in ein plö tzlich hereintretendes Thal. In den Tiefen seines Bettes, die von Wasserstü rzen ü berwö lbt waren, schwammen lautlos und dunkel scheue Forellen und verschwanden wie dunkle Blitze, sobald nur mein Schatten ü ber ihren Schlupfwinkeln hinwegstrich.

Dem frö hlichen Stü rmer folgend gelangte ich unversehens in ein wohlbekanntes Thal. An dessen Mü ndung bog ich um die vortretende Hö he und verliess den Bach, der zur andern Seite strebte und bald nur noch leise zu hö ren war. Ein junger Buchenstand, langsam sich lichtend, trat endlich ganz zurü ck und gab ein heimlich anmutendes Bild meinen Blicken frei. Mehrere Hü gel streckten in ein breites Wiesenthal bewaldete Auslä ufer vor. Vor mir lag in hohen Binsen ein dunkler Weiher, an dem ich als Knabe viele Mittagstunden verweilt hatte. Einzelne Laubbä ume mit astlos hagern Stä mmen und hohen, spä rlichen Kronen spiegelten sich voll in der brä unlichen Flä che. Die ersten Lebensträ ume waren an diesem Schilfufer ü ber die Tiefe meiner Knabenseele gegangen, sich in der unbewegten Flä che spiegelnd. Die ersten, wunderlich krausen Dichtergedanken hatte diese freundlich ernste Einsamkeit in mir erregt.

Ich beschattete meine Augen mit der Rechten und sog die milden Farben in mich ein, und die Stille, und den Frieden, von dem mir schien, als hä tte ich ihn dort an den Lieblingsplä tzen einer anderen Zeit zurü ckgelassen. Die trockenen Spitzen der Halme und Schilfblä tter bewegten sich unregelmä ssig mit einem leblosen Gerä usch, welches die Stille noch fü hlbarer machte. Am jenseitigen Ufer stieg aus dem warmen, feuchten Boden ein dü nner Dampf, der die weiter liegenden Hü gel mit dem hellen Himmel zu einer sanften Ferne verband. Und ü ber den nä chsten Hü gelrü cken ragte kurz und spitz der schmale Turm der Klosterkirche. Dort begann auch bald ein reines Gelä ute. Die langen Tö ne gingen in milden Wellen ü ber mich hin.

Hinter dem Hü gel wusste ich das Kloster stehen, wo ich zuerst ü ber Heute und Morgen denken lernte, wo ich zum erstenmal die herbe Sü ssigkeit des Wissens kostete und die sü sseren Ahnungen verhü llter Schö nheit. Dort vernahm mein empfä nglicher Sinn alle grossen Namen, die hoch und feierlich ü ber meinen Gedanken standen, die grossen Namen des Perikles, des Sokrates und Phidias, und den grö sseren des Homer.

Mein Geist sah die Wö lbungen der Sä le und die gotischen Fenster der Kreuzgä nge deutlich vor sich stehen, und es zog mich stark hinü ber, die wehe Lust des Wiedersehens zu kosten. Aber ich blieb; ich fü rchtete, mir das innere Bild zu zerstö ren; ich fü rchtete Andere dort gehen zu sehen, wo ich in Trä umen heimisch war.

Die Sonne glä nzte auf der Spitze des Turmes. Der Hü gelrü cken stand scharf und ernst zwischen hier und dort, zwischen mir und jenen untergegangenen Dä mmerungen. Ich streckte grü ssend die Hand aus und war im Innern bewegt. Ein Stü ck von mir lag dort begraben, und welch eine Fü lle unentfalteter Regungen und unerlö ster Jugendträ ume!

Ein schmaler Brettersteg ragte in den Weiher. Ich beschritt das zitternde Gerü ste und beugte mich, wie ich oft gethan, ü ber die Brü stung vor. Mein Spiegelbild lag ruhig im Wasser. Ich suchte Zü ge an ihm, die mich an das Gesicht erinnerten, welches damals aus derselben Tiefe mich ansah. Dann verliess ich den stillen Ort und wanderte langsam durch die Waldung zurü ck.

 

Im Garten fand ich die Kö nigin mit ihren Frauen im Kreise sitzend. Eine Schale voll goldgelber, duftender Frü chte ging von Hand zu Hand, und jede der Spielerinnen musste ein Wort ü ber die Frü chte sagen, ehe sie eine der lockenden verspeisen durfte. Die Schale schwankte eben in dem Hä ndlein einer kleinen Schwarzen, hinter deren Sitz ich gerade ankam, noch von einer Oleanderreihe verborgen. Die Kleine beugte sich ü ber das schö ne Gefä ss, einen hellen Nacken mit schwarzen Ringelhaaren zeigend, und suchte mit bedä chtigen Augen die reifste Frucht. Diese zog sie am Stiel mit zwei Fingern heraus, hob sie bewundernd ü ber sich und nä herte sie langsam ihrem lü sternen Munde. „Da derjenige nicht hier ist“, sagte sie lachend, „welchem allein ich die Sü sse gö nnte, erlaubt mein Neid mir nicht, diese Schö nste einer andern zu ü berlassen. “ Sprach’s und that einen guten Biss in das sü sse Fleisch, indem ich eben aus dem Gezweige hervortrat.

Die Frauen, welche mir gegenü ber sassen und mich zuerst erblickten, brachen in ein lustiges Gelä chter aus, das sich zu beiden Seiten des Kreises, da immer eine Nachbarin der nä chsten nach mir deutete, bis zu der vor mir Sitzenden fortsetzte. Diese blickte mit Verwunderung im Kreise umher, noch die Schale in der Linken, lachte mit, ohne zu wissen warum, stand schliesslich auf und drehte sich um, wobei sie erschrocken und schnell errö tend mich mit der angebissenen Frucht berü hrte. Dann aber fasste sie sich eilig, sagte herzhaft „Da! “ und hielt mir den Bissen vor den Mund.

„Erst deinen Spruch! “ ermahnte heiter die Kö nigin. „Diese kö stlichste eurer Frü chte“, sagte ich schnell, „ist mir eine sichtbare Gunst des Glü ckes, welche abzuweisen mir verderblich sein wü rde. Also gö nnt sie mir und erlaubt, dass ich meine tapfere Vorkosterin Fortuna nenne. Tibi, Fortuna! “ Der sü sse Bissen erfrischte mich bis ins Mark.

Indessen war es Mittag geworden und wir wichen vor der heisseren Sonne in die Halle zurü ck. Nebst den Frü chten wurde Brot und Honig gebracht, Milch in Kannen und Wein in einem steinernen Krug. Wir bedienten einer des andern Hä nde mit Wasserbecken und sassen frö hlich zu Mahl. Neben mir an sass Fortuna, viel geneckt und mit lä cherlichen Kosenamen gerufen, tapfer und plaudernd. Sie schwieg aber und horchte, und ich auch, als eine der Frauen mit halbem Ernst Erzä hlungen aus meinem Leben vorzutragen begann, von den Meisten oft durch Gelä chter und neue Geschichten unterbrochen. Auch die Kö nigin nahm teil.

„Erinnerst du dich noch“, sagte diese zu mir, „an die Geschichte vom Blondel, aus deiner Kinderzeit? Es ist den Dichtern gegeben, dass sie sich mehr als andre Menschen ihres frü hesten Lebens erinnern. Wenn du noch weisst, so erzä hle uns doch davon. “

Die Begebenheit aus meiner ersten Knabenzeit, an die ich Jahre lang nicht gedacht hatte, stand plö tzlich wieder deutlich vor mir, wie eine schü chterne Kindergestalt. Und ich berichtete: „Als ich noch klein und keine sechs Jahre alt war, geschah es irgendwo und wann, dass ich die Geschichte des Liedsä ngers Blondel zu hö ren bekam. Ich verstand sie wohl schlecht und vergass sie bald, aber der zarte, freundliche Name Blondel blieb in meinem Gedä chtnis und schien mir wunderbar fein und wohltö nend, so dass ich ihn mir oft leise vorsagte. Mit diesem Namen genannt zu werden, dü nkte mich ü ber alles kö stlich und herzerfreuend. Also ü berredete ich im Spielen bald einen nachbarlichen Kameraden, mich so zu nennen, was mir ü beraus angenehm und schmeichelnd war. Nun gewö hnte sich das Bü blein an meinen Spielnamen, und eines Vormittags kam er vor unser Haus, um mich abzuholen, stellte sich an den Zaun und rief aus vollem Halse gegen die Fenster: „Blondel! Komm herunter, Blondel! “ Mein Vater und die Mutter und Besuche waren im Zimmer, und mein laut ausgerufenes Lieblingsgeheimnis beschä mte und empö rte mich so sehr, dass ich mich nicht ans Fenster zu gehen getraute und nachher meinem erstaunten Kameraden zornig die Freundschaft aufkü ndigte, welche freilich bald wieder zusammenwuchs. “

„So war es“, sagte die Kö nigin. „Nun aber, wenn du willst, erzä hle uns, wo du dich heute am Morgen aufhieltest. Ich hatte gedacht dir das morgendliche Meer zu zeigen; du aber warst fort, ehe die Sonne schien. “

Ich verspü rte frü h’ eine Lust zu laufen und geriet in einen tiefen Wald, der mich mit allerlei Schatten und Geheimnissen weiter lockte, bis ein liebliches Wunder vor mich trat. Ich stand vor einem Weiher, dessen Spiegelgewä sser meine zartesten Jugendgedanken noch mit allem kostbaren Duft bewahrt hatten. Ü ber einen jenseitigen Hü gel blickte der Turm des Klosters, das vor Zeiten mich und meine liebsten Jü nglingsträ ume beherbergt hat.

„Ich weiss, “ sagte die Schö nste, „das war deine edelste und ehrfü rchtigste Zeit. Damals sah ich dich schwermü tige Waldwege thun und knabentraurig in gefallenen Blä ttern rauschen, und nie bin ich dir nä her gewesen, als an jenen Abenden, da du deine Geige an dich nahmst oder das Buch eines verehrten Dichters. Damals sah ich die Schatten der spä teren Jahre sich dir nä hern und fü rchtete fü r dich, und ahnte wohl, dass du einmal mit einer neuen Jugend und einer neuen Trauer zu mir kommen wü rdest. Um jener sehnsü chtigen Zeit willen liebte ich dich noch in deinen verlorensten Jahren. “

Wä hrend sie dieses sagte, gliederte sich vor meiner Betrachtung wie ein Bild meine ganze Jugend und sah mich traurig mit Augen eines misshandelten Kindes an. Die Kö nigin aber liess eine Geige herbeibringen, beendete das Mahl und bat mich zu spielen. Auch die Frauen bedrä ngten mich bittend und neckend, und Fortuna reichte mir mit einer gnä digen Bewegung den Bogen. So setzte ich leise an und zog den Bogen mild und probend, bis meine Finger sich wieder in die harten Geigergriffe gewö hnt hatten. Dann legte ich mich mit Lust in das Spiel und strich die leidenschaftlichen Takte einer dunklen Jugendphantasie. Und hernach, da ein langer Blick der schö nen Frau Gertrud mich bat, spielte ich ein Notturno von Chopin, jenes schö nste, windverwehte, dessen Takte sich wie die Lichter eines mondbeglä nzten Meeres bewegen.

 

Ich war mit der Kö nigin auf Waldwegen in ein Gartenschloss in der Nä he des Meerufers gegangen. Dort fü hrte sie mich vor eine hohe, bemalte Wand. „Mein Lieblingsbild“, sagte sie. Mit grosser Kunst war hier ein sü dlä ndischer Garten gemalt, voll dunkler, tiefschattiger Gebü sche, mit griechischen Bildsä ulen und einer springenden Wasserkunst, an deren unterstes Becken eine Leier gelehnt war. „Kennst du den Garten? “

„Nein. Aber die Leier ist Ariosts. “ Sie lä chelte. „Ariosto! Hier wandelt er noch zuweilen und sagt mir ein helles Spiel wiegender Oktaven vor, und lä sst sich unter Scherzen von mir bekrä nzen. “

Auf einen leisen Wink der Herrin ward plö tzlich die ganze bemalte Wand hinweggerü ckt. Ein unermesslicher Horizont rundete sich vor uns aus, und zu unsern Fü ssen lag dunkelgrü n der ganze Garten des Bildes. Ein schlanker, dunkler Mann trat langsam aus einem Rondell, bü ckte sich nach der Leier und ahmte darauf spielend den Silberlaut der Fontä ne nach. Darauf schritt er abwä rts gegen das dunkelnde Meer und verschwand an der Gartenmauer. Mir ging die ganze Erscheinung vorü ber wie ein Verspaar des Orlando, schlank, edelfö rmig, und schalkhaft wie ein Mä dchengelä chter. Dann ging ich selber, an der Hand der Kö nigin, an das Meerufer hinab. Die leicht bewegte Flä che der See lag blau und rot und silberschillernd weit hinaus. Auf diesem Farbenspiel ruhten unsre Blicke lang mit frö hlichem Ergö tzen. Dann bog die Schö nste einiges Zweigwerk auseinander und zeigte eine weisse, schmale Treppe, welche ins Wasser fü hrte. An diese fand ich mein Boot gebunden. Die Kö nigin brach einen Zweig Orangeblü te, warf ihn in das Boot, drä ngte mich sanft hinab und gab mir die Hand.

„Nun reise gut! Abschiednehmen ist eine Kunst, die niemand zu Ende lernt. Ich weiss, du wirst einmal wieder kommen, bei mir Licht zu schö pfen, und einmal, wenn du keines Ruders mehr bedarfst. “

Mit einem schweren Gurgellaut zerbrach eine Welle an den Stufen und nahm rü ckflutend mein Boot auf ihren Rü cken. Ich breitete beide Arme nach der hellen Gestalt, bis sie mit einem leichten Grü ssen seitab in die Wandelgä nge Ariostos verschwand. Die Nacht kam schnell und schlug den schweren Mantel der Finsternis um meine Trauer, und blickte herrlich aus tausend trö stenden Augen auf meine langsame Heimfahrt.

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