Incipit vita nova.. Das Fest des Königs.
Incipit vita nova.
In meinem Leben ist wie im Leben der meisten Menschen ein Punkt der Wandlung in’s Besondere, ein Ort der Schrecken, der Finsternisse, des Verirrt- und Alleinseins, ein Tag unerhö rter Betä ubung und Leere, aus dessen Abend neue Sterne am Himmel und neue Augen in uns hervorgehen. Da ging ich frierend unter den Trü mmern meiner Jugendwelt, ü ber zerbrochene Gedanken und gliederzuckende, verzerrte Trä ume, und was ich anschaute, fiel in Staub und hö rte auf zu leben. Freunde gingen an mir vorbei, welche zu kennen ich mich schä mte, Gedanken sahen mich an, die ich vorgestern gedacht hatte, und waren so entfernt und fremd geworden, als wä ren sie hundertjä hrig und nie mein Eigentum gewesen. Alles wich von mir weg, ich war bald von einer ungeheuren Leere und Windstille umgeben. Ich hatte nichts Nahes mehr, keine Lieblinge, keine Nachbarschaft, und mein Leben stieg in mir als ein schü ttelnder Ekel empor. Als wä re jedes Mass ü berfü llt, jeder Altar entheiligt, jede Sü ssigkeit verekelt, jede Hö he ü berklommen. Als wä re jeder Schimmer einer Reinheit verfinstert und schon jede Ahnung einer Schö nheit verzerrt und mit Fü ssen getreten. Ich hatte nichts mehr, mich danach zu sehnen, nichts mehr anzubeten und zu hassen. Alles was Heiliges, Ungeschä ndetes und Versö hnendes noch in mir war, hatte Blick und Stimme verloren. Alle Wä chter meines Lebens waren eingeschlummert. Alle Brü cken waren abgebrochen und alle Fernen ihrer Blä ue beraubt. Als alles Lockende und Liebenswerte mir so verschwunden war und ich wie ein Schiffbrü chiger des Geistes erschö pft und unaussprechlich beraubt und arm zum Bewusstsein meines Elendes erwachte, da senkte ich das Auge, erhob mich mit schweren Gliedern und wanderte aus allen Gewö hnungen meiner Vergangenheit wie ein Gerichteter, der bei Nacht seine Wohnung verlä sst, ohne Abschied zu nehmen und ohne die Thü ren hinter sich zu verschliessen. Wer hat je der Einsamkeit auf den Boden geschaut? Wer kann sagen, dass er das Land der Entsagung kenne? Meinen Blicken schwindelte, als ich mich ü ber den Abgrund bü ckte, sie fielen ohne ein Ende zu finden. Ich wanderte durch das Land der Entsagung, bis meine Kniee vor Mü digkeit brachen, und noch lag die Strasse in unverminderter Ewigkeit vor meinem Schritt. Eine stille, traurige Nacht wö lbte sich trö stend und schlä fernd ü ber mir. Schlummer und Traum kamen zu mir wie Freunde zu einem Heimkehrenden, und lö sten eine tö dliche Last wie ein Reisebü ndel von meinen Schultern. Bist du schon schiffbrü chig gewesen und sahest Land und einen Schwimmer sich dir nä hern? Bist du schon todkrank gewesen und thatest genesend den ersten Trunk frischer Gartenluft und spü rtest das sü sse Wallen des sich erneuernden Blutes? Wie diesen Erretteten und diesen Genesenen, so ü berflutete mich ein Wirbel von Dankbarkeit, Ruhe, Licht und Wohlsein, als ich in jener Nacht erkannte, dass unerforschliche Wesen sich freundlich zu mir neigten.
Der Himmel hatte ein anderes Ansehen als jemals zuvor. Die Stellung und Wiederkehr der Gestirne trat mit meinem innersten Leben in einen vorbestimmten Freundesbund und das Ewige verknü pfte etwas in mir deutlich und wohlthä tig mit seinen Gesetzen. Ich fü hlte in meinem aus der Wü ste aufgerichteten Leben einen goldenen Grund gelegt, eine Kraft und ein Gesetz, nach welchem, wie ich mit herrlichem Erstaunen empfand, kü nftig alles Alte und Neue in mir sich in edlen Krystallformen ordnen und mit allen Dingen und Wundern der Welt wohlthä tige Bü ndnisse schliessen mü sste. Incipit vita nova. Ich bin ein Neuer geworden, mir selber noch ein Wunder, ruhend zugleich und thä tig, empfangend und schenkend, ein Besitzer von Gü tern, deren werteste ich vielleicht noch nicht kenne. Das Fest des Kö nigs.
Im Schloss des Kö nigs wurde ein Fest bereitet. Der Palast und alle vornehmen Hä user der Stadt waren mit Gä sten ü berfü llt, denn zu den Festen des Kö nigs pflegte der Adel des ganzen Landes sich einzufinden. Die breite Allee, welche vom Schlosse in die Stadt fü hrte und die an gewö hnlichen Tagen durch Ketten und Wä chter versperrt wurde, war voll von Reitern, Wagen, Sä nften, Lastträ gern und Mü ssiggä ngern zu Fusse. Der Kö nig besass einen Marstall von hundert Schimmeln, und ausser den Prinzen und den Grafen des Landes durfte niemand ein weisses Ross reiten, bei Todesstrafe. Wenn nun auf dem ü berfü llten Fahrwege ein Schimmelreiter erschien, dem wurde eine breite Gasse gebahnt, und auf beiden Seiten drä ngte sich das wartende Volk, sich bü ckend und die Hä upter zum Gruss entblö ssend. Da waren Handwerker mit Leitern, Seilen, Brettern, Teppichen und gemalten Schildern, buntgekleidete Musikanten, Trompeten, Geigen und grosse Trommeln tragend, Blumenverkä ufer mit Karren, auf welchen bunte und rare Blumen in Haufen getü rmt lagen, Herolde und Soldaten, Wagen, die mit vielerlei Gerä te, Tapeten und Tü chern beladen waren. Unzä hlige Neugierige in Sonntagskleidern spazierten in dem geö ffneten ä ussersten Ring des kö niglichen Parkes, durch den die Platanenallee gezogen war. Handwerker waren beschä ftigt, zwischen den Bä umen lange Leinen mit aufgereihten, runden, rot und gelben Papierlaternen zu spannen, welche am Abend zur Belustigung des Volkes und als frö hlicher Anblick fü r die Herrschaften sollten angezü ndet werden. Die Arbeiter lachten oder fluchten durcheinander, je nachdem sie von der Menge ermuntert oder belä stigt wurden. Trö dler gingen umher, von vielen Kindern umringt, mit Schmuck und allerlei Spielzeug und Flittern handelnd, Weiber, welche Brot und Wü rste und Gebä ck verkauften, und Blumenmä dchen, die den jungen Stä dtern Veilchensträ usse anboten. Diese alle erfreuten sich reichlichen Zulaufs, und zumal die Veilchenmä dchen waren ü berall von eleganten, im Scherze feilschenden jungen Mä nnern unter vielerlei Schmeicheleien und spasshaften Angeboten umringt.
Am dichtesten drü ckte sich das Volk vor dem geschlossenen eisernen Hauptportal des Schlosshofes. Landleute und Stä dter drä ngten sich dort zu dem selten gewä hrten Anblick des Schlosses und brannten vor Begierde, hinter den Bogenfenstern Einen vom Kö nigshause zu erspä hen, und wandten kein Auge vom Schlosshof, sobald ein Lakei in roter Livree sichtbar wurde, oder ein Offizier, oder nur ein gemeiner Diener, welcher Gerä t trug oder Pferd oder Hund nach den seitwä rts zurü ckliegenden Prachtstä llen fü hrte. Das Schloss bestaunte ein jeder, der es zum ersten Male sah, und am meisten die Landleute. Denn es war nach hierlands fremden Regeln unter dem Vater des jetzigen Kö nigs von einem sü dlä ndischen Werkmeister erbaut worden, von geringer Hö he, aber weitlä ufig und prä chtig, und ganz aus Marmor. Dieses Schloss und der dahinter liegende alte Park, der dem Volke unsichtbar und niemals zugä nglich war, galten als die Wunder des Landes. Die sichtbare vordere Seite des Schlosses, mit zweimal vierzig Bogenfenstern, war von einem breiten Giebel gekrö nt, in dessen Dreieck ungeheure Menschen und Pferde auch aus Marmor gemeisselt standen, die seitwä rtigen in allerlei Lagen knieend, fallend und liegend und so der Dreieckform lebendig angeschmiegt. Kleinere Figuren von feiner Arbeit standen ü ber dem Hauptthore, den Empfang heimkehrender Sieger darstellend. Im Innern aber sollten Sä le von unerhö rter Hö he und Pracht und Zimmer mit seidenen und goldenen Wä nden sein, angefü llt mit Schä tzen aus vielen Zeitaltern und Kunstwerken berü hmter Meister. Noch erstaunlichere Gerü chte wussten viele von dem geheimnisvollen Park zu erzä hlen, der sich drei Stunden weit erstreckte und von auslä ndischen Gä rtnern und Fö rstern erhalten wurde, welchen verboten war, sich jemals ausserhalb der ungeheuren Ringmauer zu begeben, die den ganzen Park in stattlicher Dicke und Hö he umgab. Hirsche und unbekannte Tiere und farbige, fremde Vö gel, als Fasanen und Pfauen, wusste man dort verborgen, und jahrhundertalte Wildnisse, ferner kü nstliche Gewä sser, Seen und springende Brunnen, Brü cken und Beete voll seltener Blumen, sowie ein fabelhaftes Jagdschloss, den Lustort des verwichenen Fü rsten, wo dessen lang verblichene Geliebten hä ufig umgingen, die Buhlereien und Eifersü chte ihres vormaligen Sü ndenlebens erneuernd. Was immer an dunklen Mordgeschichten und unerhö rten verliebten Lustbarkeiten von heissen Kö pfen ersonnen und von eiligen Weiberzungen verschwatzt war, wurde auf das unbekannte Jagdschloss gehä uft, welches den einen als ein schimmernder Himmel auf Erden, den andern als Sammelort aller Schrecken und bö sen Geister erschien. Die mü ssige Menge sog begierig die Geschwä tze und geflü sterten Sagen und den Duft des Wunderbaren ein, der sie nebst dem Rausch des Feiertages und der Erwartung erhitzte und betä ubte. Man sprach von den Pferden und Wagen der Gä ste, von den bevorstehenden Vergnü gungen des Hofes und denen des Volkes, welchem auf den Abend ein Feuerwerk versprochen war. Neben den anpreisenden Rufen der Verkä ufer waren die von lautem Gelä chter begleiteten Spä sse der Hanswurste zu hö ren, die Bettelreden sitzender Krü ppel und umhergestossener Einarmiger oder gefü hrter Blinder, die ermahnenden, aber wohlwollenden Stimmen anwesender Ratsherren, und das gelle Spassen und jache Lachen der Freudenmä dchen. Die Trinkbuden bevö lkerten sich, und mancher Unkluge nahm den erwarteten Genuss des Festtages im vorzeitigen Rausch vorweg. Andere umstanden ein Kasperltheater oder ein Loosrad oder die Wettspiele der Kinder, welche nach ausgehä ngten Preisen kletterten und sprangen. Balladensä nger und Sackpfeifer wurden angehö rt, im Gedrä nge verloren sich Familien und Freunde auseinander und fanden sich Liebespaare, denen die Wirre des Festplatzes ersehnte Gelegenheit zu verbotenen Zusammenkü nften gab.
In den gewundenen Spazierwegen des ä usseren Parkes sassen und lustwandelten die Alten, die Angesehenen der Stadt, reiche Bü rger, Rä te und Richter, und langsame Pfarrer, im Genuss der gepflegten Zierbeete und Rasen und der schattigen Ruhebä nke. Ein feister Ratsherr erklä rte mehreren Fremden die Anlage der Alleen und Wege und die Lage des Schlosses, und rü hmte den Wohlstand seiner Stadt und den freigebigen Reichtum seines Kö nigs. Der Lä rm, das Bü rgergesprä ch, die modisch gekleideten Stä dter und das glotzende, schwergestiefelte Landvolk schä ndeten die Alleen und die Gä rten, und stachen hart von dem Ernst der alten Platanen und von der eleganten Schö nheit der fü rstlichen Anlagen ab, deren verschlungene Wege, von allerlei seltenem Laub ü berschattet, dazu bestimmt waren, von Prinzessinnen in adliger Gesellschaft oder von den Phantasiebildern eines fü rstlichen Dichters beschritten zu werden.
Um die Mittagstunde sammelten sich grosse Volkshaufen vor den Portalen des Schlosshofes, neugierig auf die Tafelmusik und auf den erhofften Anblick der Herrschaften. Ein drö hnender Jubel brauste empor, da der Kronprinz an einem Fenster sich zeigte. Er war dunkel, mager, ein wenig gebü ckt, und hatte ein scharfes, kluges, wachsblasses Gesicht mit dunklen, forschenden Augen. Er bewegte grü ssend das Haupt, und in eben diesem Augenblick trat der Kö nig neben ihn, lä chelnd und mit lebhafter Bewegung der grü ssenden Hand. Er war gross, dick und aufrecht; die Farbe seines breiten Bartes schwankte noch zwischen blond und grau, sein Gesicht aber war frischrot und glä nzend und die Stirne schier ohne Falten. Er trug ein rotes Gewand mit breiten, weissen Sä umen. Er liebte alle Festlichkeiten und verbarg seine Frö hlichkeit der Menge nicht. Kopfnickend verliess er mit dem Kronprinzen das Fenster. Wä hrend draussen die Rufe der beglü ckten Menge langsam zerrannen, setzte sich der Kö nig im roten Saale zu Tisch. Zwei schimmernde Reihen geschmü ckter Herren und Edeldamen sassen an einer ungeheuren Tafel verteilt, immer eine Dame zwischen zwei mä nnlichen Gesellschaftern. Zur Rechten des Kö nigs sass die weiss gekleidete Kö nigin, seine dritte Frau, von Allen ihrer schlanken, stummen Schö nheit wegen bewundert. Zur Linken des kö niglichen Sitzes sass ein schwarzhaariger Buckliger, schweigsam und hä ufig aus tiefliegenden, glä nzenden Augen umherschauend. Dieser war des Kö nigs Bruder. Ihm war der scharfe, zä he Verstand zu eigen, welchen man oft bei Krü ppeln findet, und, unbekannt der Welt, leitete sein wacher Fleiss und sein ernstes, scharfes Auge die Geschä fte der Regierung. Ihm verdankte unwissend das Land seinen Wohlstand und der leichtherzige Kö nig die Erhaltung seiner ererbten, unermesslichen Reichtü mer. An die Enden der Tafel waren die Prinzen gesetzt, der Kronprinz und sein jü ngerer Halbbruder, aus der zweiten Ehe des Kö nigs, seiner Herzensehe entsprossen, ein heller, frö hlicher Ritter. Die Grafen und Grä finnen und Barone und ihre Frauen und Tö chter waren nach Neigung und Freundschaften gemischt, die drei vornehmsten und ä ltesten Vasallen dem Kö nige gegenü ber. Silberne Teller und krystallene Weinkelche wurden von zahlreichen edelgeborenen Pagen bedient. In der Nä he des Prinzen glä nzte das helle Jü nglingshaupt seines Lieblings, des Sä ngers, welchen der Kö nig, da jener ein Meister seiner Kunst und von feinen Sitten war, nach italienischem Vorbilde an sein Haus gefesselt hatte. Er war dem Kö nig in kurzer Zeit lieb und befreundet geworden, denn er verstand meisterlich alle angenehmen Kü nste, zumal Poesie und Gesang, und war ein Erfinder vieler Feste, Tä nze, Mummenschä nze und sonst ergö tzlicher Belustigungen.
Der Kö nig redete viel mit den Frauen seiner Vasallen. Die Mä nner ü berliess er seinem Bruder, der durch kurze, schwere Fragen und Blicke die Herren durchforschte. Die Kö nigin allein sass schweigsam und ohne viel zu lä cheln. Ihr feines, blasses Haupt wendete sich langsam zuweilen um, ihr dunkles Auge ging durch die Reihen der Tafelnden, ruhte auf den Stirnen schö ner Ritter, und ging weiter, den Schö nsten zu suchen. Ihr geschlossener Mund war von hellem Rot, wie die Frucht der wilden Rose, fein und hochmü tig, und karg mit Lä cheln. Sie lehnte oft im Sessel zurü ck und hö rte aufmerksam den Geigern zu, welche auf einer niederen Galerie gedä mpfte, sü sse Melodien spielten. „Eure kö nigliche Majestä t lieben die Kunst der Musik? “ fragte sie ehrerbietig ihr Nachbar, ein alter Graf. Sie wandte langsam das Haupt gegen ihn und die verschleierten Augen. „Ihr rietet richtig, Herr Graf“ sagte sie dann wü rdig, wandte wieder den Blick und hö rte wieder auf die feinen Tö ne. Einmal wandte der Sä nger sich um und hü llte das Haupt der Kö nigin in einen langen, glä nzenden Blick, und wog im Herzen sein Schicksal gegen eine junge, sü sse Sehnsucht. Nach aufgehobener Tafel legten sich viele in die Polster, zu ruhen, und andere wandelten anschauend durch die Sä le, deren Estriche mosaikgeschmü ckt und deren Wä nde mit Bildern und kö stlichen gewirkten Stoffen behangen waren. Der Prinz nahm den Arm des Sä ngers und zog ihn ü ber die breiten Treppen ins Freie. An einer kü hl verschatteten Ruhebank machten sie Halt. Der Sä nger setzte sich auf die Bank und lehnte sich an den gerundeten Stein. Der Prinz aber warf seinen Mantel ins Gras und legte sich darauf. Er lehnte den blonden Kopf an das Knie des Freundes und richtete die Blicke vergnü gt auf den vom Gerank der Zweige vergitterten lichten Himmel. Nach kurzer Weile begann er zu plaudern. „Sag’ mir doch, du Kenner, was ist das Schö nste und Begehrenswerteste in der Welt? Ist es der Schmuck des Reichtums, oder des Ruhmes, ist es der himmlische Zauber der Kunst, oder der brü nstige Schrei eines entzü ndeten Weibes, oder das Leben der Hirten? “ Der Sä nger lachte. „Du Ungeduld! Du suchst den Schatz des Glü ckes in der Schale einer Nuss. Aber die Schö nheit und das Glü ck sind reicher als wir, und haben tausend Wege, und tragen Frü chte auf allen Bä umen. Was ist Reichtum ohne Liebe, oder Wollust ohne Schö nheit? Am begehrenswertesten aber scheint mir vielleicht dieses: Ein Weib von hö chster Geburt und adligem Herzen, das in Liebe sich seiner Rechte entkleidet. Welches bittet, indem es schenkt. “ Der Prinz legte sich weiter zurü ck, und lä chelte, und spielte mit seinen schlanken, weissen Fingern. Der Freund fuhr fort: „Auch wird das, was uns gestern liebenswert und unü bertroffen schien, im Schatten der Ereignisse mit den Tagen blasser und verliert seinen frischen Reiz. Ich erfand vor einigen Jahren, in Italien, als zum ersten Mal eine verliebte Weiberhand mich streichelte und mein Herz voll neuer Wonne war, — da erfand ich aus meiner Lust ein Lied fü r die Geige, und that darein, was ich Sü sses und Heimliches wusste und glaubte lang, in dieser Weise sei aller Zauber und alles Holde versammelt, so als wiege sich das Glü ck selber im Netz der Tö ne. Als ich dasselbe Lied hernach der zweiten und der dritten Frau zu hö ren gab, und als neue Lieder mich umtrieben und gesungen sein wollten, da sah ich den Boden der Tiefe und musste lachen. Und jetzt scheint es mir ein liebliches Kinderlied zu sein. “ Vom breiten Weg her kam Gerä usch. Der Kronprinz und des Kö nigs Bruder traten in den Schattenkreis des Gebü sches. Da der Kronprinz den Bruder zu den Fü ssen des Sä ngers liegen sah, ging ü ber seine harten Lippen ein scharfes Lä cheln. Er grü sste nicht und kehrte nach dem Schlosse zurü ck, der Oheim aber senkte mit Wohlgefallen das ernste Auge auf die Befreundeten. „Siehe da, meine Blondkö pfe! Nennt mir, worü ber Ihr redetet, damit ich teilnehme! “ Der Sä nger verneigte sich und nö tigte den kö niglichen Kanzler zu sitzen. Der Prinz, seines Kopfkissens beraubt, setzte sich mit gekreuzten Beinen gegen die Bank gewendet. „Euer Neffe wü nscht zu erfahren, was wohl in der ganzen Welt das Schö nste und Begehrenswerteste ist. “
„Eine leichtsinnige Frage“, sagte der Alte, — „und eine schwere Frage! Hattet Ihr ihm eine Antwort? “ „Er meinte, das Hö chste wä re: Eine —“ die starke Hand des Sä ngers presste sich auf den lachenden Mund des Prinzen und erstickte den Rest seiner Antwort. „Narreteien! “ Der Bucklige heftete seinen klaren Blick auf den Ungestü men und drohte scherzhaft mit dem Finger. „Eine Frau“, — vollendete er den Satz. „Aber welche nun? Herr Kü nstler, Eure blonde Jugend weiss in der Liebe besser Bescheid als meine unreizende Person. “ „Eure Gnaden ü berfordern mich. Mir war bisher die Liebe nur ein Schmuck und Spiel, oder ein Gegenstand fü r meine Singweisen. Ein Kü nstler, wer er sei, bedarf der Frauen, denn ihre Nä he macht glü cklich und warm, was beides der Kü nstler zu seiner Arbeit sein muss. “ Der Prinz schnitt ein drolliges Gesicht. „Freilich! aber nicht die Kü nstler allein. Notwendig sind die Frauen auch fü r die Prinzen, die in Friedenszeiten an langer Weile leiden. “ „Halt an! “ rief der Oheim. „Deine Abenteuer sind uns sattsam bekannt. Mich wundert, wie lange du noch an langer Weile leiden willst. Wenn die Geschä fte dir widerwä rtig sind, warum treibst du keine Studien und keine ernstliche Kunst? Dein Bruder studiert in der kargen Zeit, welche er nicht den Staatsgeschä ften widmet, die Geschichte der Malerkunst und die Sammlungen meines Vaters. “ Der Prinz unterbrach ihn heftig. „Mein Bruder! Er arbeitet, weil er geizig ist, und weil ihn zu regieren lü stet. Mag er studieren, so viel er will, er lernt doch nur Jahreszahlen und Namen, und sein Kunstverstand ist auf die Kenntnis der Bilderpreise beschrä nkt. Wie viel Goldstü cke fü r eine Leinwand bezahlt werden, ist ihm wichtiger zu wissen als alle Geschichte. Sein Gehirn ist eine Rechentafel. “ Der Oheim gab keine Antwort und betrachtete mit Sorge die blanke Stirne des Prinzen, und seine frohen, genusssü chtigen Kusslippen, und die ganze ziere Gestalt. Er war das Abbild des Kö nigs, in feineren, eleganteren Linien, mit denselben sorglosen Manieren, aber noch deutlicher mit dem Stempel des Leichtsinns gezeichnet. Da beide Jü nglinge schwiegen, zog der Alte ein kleines, fein in Leder gebundenes Bü chlein hervor und bat den Sä nger vorzulesen, wobei er eine Stelle mit dem Zeigefinger bezeichnete. Die klingenden Verse eines italienischen Dichters flossen rein vom Munde des Lesers, dem beruhigenden Gesang eines fallenden Wassers zu vergleichen. Wä hrend der Lesung entwich der Prinz leise seitab, liess einen Schimmel satteln und that einen ü bermü tigen Ritt nach der Stadt, durch die hastig ausweichende Menge in schonungslosem Trab sich drä ngend. Er hatte fü r den Abend ein Maskenkleid zu arbeiten gegeben, nun wandelte in der letzten Stunde die Lust zu einer Ä nderung ihn an. Nach kurzer Frist ritt er den Weg zurü ck, vom scheuen Volk gegrü sst, ü ber welches er hin und wieder einen Wurf von kleinen Mü nzen streute. Der Sä nger, nachdem ihn des Kö nigs Bruder dankend und freundlich entlassen, ging nachdenklich in den Palast zurü ck. Er wandelte durch Gä nge und Sä le bis zu der schmalen Wand eines Kabinettes, wo das gemalte Bild der Kö nigin in goldenem Rahmen hing. Vor diesem stand er lang. Und da er sich mit heissen Augen von dem Bildnis wandte, trat eben mit ihren Frauen die Kö nigin selber durch die Thü re. Er bü ckte sich tief. Sie fragte nach dem Prinzen. „Er verliess mich bald nach der Mahlzeit. Befehlet Ihr ihn zu suchen? “ „Der Wildfang! — Bemü het Euch nicht. Habt Ihr Lust mir zu dienen, so bringet Eure Violine her. Ihr Klang ist mir lieb, denn er erinnert mich meiner fernen Heimat. “ Er eilte nach seiner Geige. Sie begehrte das schö ne Spielwerk zu sehen und nahm es in ihre feinen Hä nde. Ihre Linke umschloss den schlanken Geigenhals. „Ein gepriesener Meister hat sie gebaut“, erklä rte der Sä nger, „und sie vermag mehr als irgend sonst ein ä hnliches Stü ck. Man sagt, dass der langher verstorbene italienische Meister den Laut menschlicher Stimme aus ihr zu locken verstand. “ Aus ihren Hä nden nahm er die Geige zurü ck und sah mit glä nzendem Auge die Spur ihrer Finger, von einem schmalen Hauchstreif gesä umt leicht und schmal auf die blanke Flä che gedrü ckt. Darauf presste er das feste Kinn auf die Wö lbung und geigte einen langen, wachsenden Ton. Der sü sse Laut erfü llte das ganze Gemach, und zitterte, und wurde zur Sprache einer brennenden Sehnsucht. Die Kö nigin schloss die Augen und wiegte leise das zarte Haupt, auf dem das Auge des Spielers glü hend und beschwö rend ruhte. In dieser Stunde erkannte der Sä nger, dass seine neue Liebe kein Spiel und Schmuck war, sondern ein Ernst und eine Wunde. Er spielte seiner hohen Dame zu Dank. Sie gab ihm, was sie zuvor noch nie gethan hatte, beim Weggehen die Hand, die schmale, kö nigliche, und sagte: „Ihr verstehet Eure Kunst! Ich habe lange nicht so sü sse Tö ne vernommen. Habt Dank! “
Am Abend begann in dem grö ssten Saal des Schlosses das Maskenfest. Die Gä ste trugen Florlarven und allerlei Gewä nder persischer, griechischer, spanischer und sonst fremdlä ndischer Art, oder Tierfelle, oder die Kostü me heidnischer Gö tter. Der Saal war reich geschmü ckt und von goldenen Kronleuchtern erhellt. Der Kö nig trug keine Larve und nur ein altertü mliches, reichzackiges Diadem als besonderen Schmuck. Der Kronprinz war in einer dunklen Mö nchskutte leicht zu erkennen. Sein Bruder aber wurde von niemandem erkannt. Er war mit Wams und Hut eines Lanzknechts bekleidet und nicht der Einzige, der diese einfache Tracht gewä hlt hatte. Der Sä nger trug einen kü nstlichen, schwarzen Bart und die volkstü mliche Kleidung der Neapolitaner. Er suchte die Nä he der Kö nigin, welche die bunte Volkstracht ihrer sü dlichen Heimat trug. Ein Gewimmel von Wilden und Bä ren, von Gö ttern und Gö ttinnen, von Schä fern, Gnomen und Bergknappen erfü llte den grossen Saal. Der Prinz verliess bald unbemerkt das Fest. Er warf einen schweren Mantel ü ber und befahl einem vertrauten Diener, ihm zu folgen und ihm nahe zu bleiben, wohin er ginge. Ihn verdross das steife Volk der Edelleute und ihr hö fisches Geschwä tze. Er steckte ein Jagdmesser in den Gü rtel, als handlichste Waffe fü r jede Not, und verliess den Palast. Der Schlosshof und die Allee und alle Anlagen bis zur Stadt waren von farbigen Laternen erleuchtet, und das trunkene Volk lä rmte feiertä glich durch die Wege. Trinkbuden und Tanzplä tze waren ü bervoll, und erhitzte Tä nzer und Trinker lachten, jodelten und stritten miteinander. Der Prinz begab sich mitten in das Gedrä nge und hatte bald an jedem Arm ein lachendes Mä dchen hä ngen. Er tanzte und trank und stand den Scherzworten der Zuschauenden und den Flü chen der Eifersü chtigen lachend Rede. Die Weiber wurden von den kecken Manieren und feinen Reden des Unbekannten gelockt, und seine Lippen brannten bald von vielen Kü ssen. Da waren Helle, Dunkle, Schlanke, Breite, Verschä mte und Schamlose. Das Auge des Prinzen fand Gefallen am Gewü hl der Tausende, sein verwö hntes Herz ward von dem raschen Takt der rohen Musik und vom Anblick des masslosen Pö bels erregt und schlug in volleren Wellen. Indessen lauschte die Gesellschaft des Kö nigs auf die leichten, zarten Weisen einer auserlesenen Musik und genoss die Lust des galanten maskierten Spiels. Es wurde wenig getanzt. Die meisten sassen auf niedern Polstersitzen oder standen und spazierten in kleineren Gesellschaften umher. Die Kö nigin bewegte sich lebhaft und gesprä chig zwischen den Gruppen. Man erkannte die Blasse, Schweigsame nicht mehr. Sie erinnerte sich der Feste ihrer Heimat, ihrer Pracht und Freiheit, und nippte hä ufig ohne Scheu am Weinkelch. Das leichte Fieber der Festfreude entflammte ihren sehnsü chtigen Sinn und stachelte ihr unbefriedigtes Herz, und gab ihrer fremden Schö nheit einen neuen, sü ssen Reiz. Sie versammelte einen Hofstaat junger Edelleute um sich her, welchen der verkleidete Sä nger sich zugesellte. „Siehe da, ein Landsmann! “ rief sie ihm zu. „Mir ist, ich wä r’ Euch schon am Posilippo begegnet. “ Der Sä nger grü sste mit einem blitzenden Blicke. „Ich kannte Euch wohl! “ antwortete er. „Solche Blumen wachsen hierlands nicht. Ich grü sse Euch vom Golf, Herrin, als der Abgesandte Eurer Heimat. “ „Meinen Dank, Landsmann! Wem aber habt Ihr Euern Schatz zu hü ten gegeben, da Ihr so weite Reisen wagtet? “ „Ich habe keinen. Mein Auge ging mü ssig, seit mein Stern mich verliess, und ich reiste, ihn zu suchen. Mich freut, ihn so glä nzend zu finden. “ „Ich sehe wohl, Guter, man versteht in Neapel noch wie vordem zu schmeicheln. “ „Schmeicheln, Herrin? Wir sind nur gewohnt, der Wahrheit weniger rauhe Gewä nder anzulegen, als in Nordland Sitte ist. “ Die Kö nigin reichte dem Hö flichen einen vollen Becher. „Dies nehmt als Willkomm! Er wuchs am Vesuv. “ Damen mischten sich unter den Kreis der Kö nigin, so dass dieser sich bald in plaudernde Paare und Doppelpaare teilte. Der Sä nger aber blieb der Kö nigin nahe und umgab ihre Sinne mit dem Netz seines flü ssigen, sü ssen Geplauders. Er sah ihren roten Mund in hä ufigem Lachen glä nzend, und sah ihre schneeweissen Zä hne, und das sacht gerundete, reine Kinn, und glä nzende Augen hinter der seidenen Larve. Zuweilen sah er hinter ihr den allein umherwandelnden Kronprinzen einen Augenblick stille stehen mit widerlichem, horchendem Kopfdrehen. Dieser erkannte den Sä nger nicht und wunderte sich ü ber die verwandelte Laune der Stiefmutter. Einmal, da sein Schatten ihr wieder ü ber die Schulter hereinfiel, wandte sie sich rasch und unmutig zu dem Sä nger. „Sagt mir doch, Landsmann, was sucht der Mö nch unter den Frö hlichen? “ Der Neapolitaner schaute in das harte Gesicht des Lauschers und antwortete spö ttisch: „Ihr seht ja, er ist am unrechten Ort und kann die Thü re nicht finden. Also ein Hansnarr wider Willen. “ Der Mö nch ging bitter lä chelnd weg, gegen den Tisch des Kö nigs, welcher mit mehreren Alten sich abseits reichlichen Weines erfreute und des Gesprä chs ü ber die beendigten Jagden. In einem Augenblicke, da die Spielleute ruhten, wurden auf einen Ruf des Kö nigs die Vorhä nge von allen Fenstern gezogen. Jedermann erhob sich und blickte ins Freie. Da standen die unendlichen Reihen der Baumwipfel im Schimmer der bunten Lampen, das verworrene Jauchzen des Volkes schwoll her, vom Winde in schwankende Wellen gebrochen, und verschlungene Flammen eines grossen Feuerwerks fieberten lohhell am matten, dunklen Himmel auf. Ein dü nner Schleier von Dunst und Rauch hing ruhig ü ber den hohen Bä umen, vom Feuerwerk mit breiten Flü ssen roten und gelben Lichtes geträ nkt. Zur selben Zeit kehrte leise der Prinz in den Saal zurü ck, mit verträ umten Augen und schweren, lä chelnden Lippen. Der Kronprinz erkannte ihn bald. Er ahnte seine verborgenen Lustbarkeiten und mass ihn mit hä sslichem Hohn. Denn er hasste den weichlichen und verschwenderischen Bruder im Grunde seines herben Herzens. Eine Weile spä ter, als der ernü chterte Prinz die Kö nigin unter den Masken suchte, fand er sie nicht. Er fragte den zechenden Vater. Der hob kaum das verschleierte Auge vom Becher. „Such’, junger Herr“, sagte er mit rauhem Lachen. „Ihr Jungen seid da, nach den Weibern zu sehen. “
Die Kö nigin lauschte indess in einem entfernten Zimmer auf die unermü deten Scherzreden des Sä ngers, und auf seine italienischen Lieder. Ihr brannte die Stirn vom starken Wein der Frö hlichkeit, und ihr Herz schlug berauscht in heftigen Schlä gen. Sie sass tief in einem Ruhesessel und blickte mit entrü ckten Augen auf die zusammengepressten Spitzen ihrer zarten Finger. Der Sä nger sass auf einem hö heren Stuhl ihr nahe, bewegte die Finger ü ber den Saiten einer Guitarre und sang welsche Romanzen und plauderte, und mischte den Ernst der brennenden Leidenschaft in sein buntes Geschwä tz. Das Spiel der Worte rann ohne Hindernis ü ber die Lippen des Liederfertigen, und ihn machte das schwindelnde Wandeln auf der Grenze des Scherzes trunken. Er verfolgte die Spur seiner Reden auf ihrem erregten Gesicht und im Zucken ihrer spielenden Finger. Seine Worte legten unvermerkt die Flitterkleider des Maskenscherzes ab, sie gewannen doppelte Bedeutung, sie begannen ihre verborgene Kraft und Wä rme hervorzukehren, und nur die gefä hrlichsten Verrä ter kleidete noch der hü llende Flor der galanten Komö die. Die Kö nigin hö rte auf mit den Fingern zu spielen; sie schloss fein geä derte Lider ü ber den heissen Augen und wiegte sich in ihrer Wä rme und im halben Wissen von der Gefahr. Ihr Traum vieler sehnsü chtig durchwachter Nä chte zog lebendig in lodernden Farben durch ihr Gemü t und alles, was ihr einsames Herz jemals Prä chtiges und Wunderbares ü ber die Liebe ersonnen hatte. Der Liedermeister senkte seine Stimme zu einem warmen Flü stern, er bog sich nä her zu der Schauernden, er spann ihren Sinn dicht in den Schleier geflü sterter Schmeichelreden und verschwiegener Wü nsche. Beiden blieb ein blasses, grausam verzogenes Antlitz verborgen, das einen Augenblick durch die sacht geö ffnete Thü re spä hte, und blass und grausam wieder verschwand. Der Kronprinz stiess, in den Festsaal zurü ckkehrend, auf den Prinzen, welcher seine Mutter suchte. — „Die Kö nigin erwartet dich. Dort, im blauen Zimmer. Aber schone sie; sie ist mü de. “ Der Kronprinz trat wieder in den Saal. Aus der vor ihm geö ffneten Flü gelthü re brauste ein Strom von Musik und Gelä chter dem Prinzen nach, welcher auf die Schwelle des Zimmers trat, in dem er die Mutter erwartete. Dem Eintretenden klang der Laut erstickter Seufzer und Liebesreden entgegen, und erwiederter Kü sse. Drei zu Tod erschrockene Menschen schrieen in diesem Augenblicke weh und gellend auf. Die kalte Hand des Grausens trennte mit einer Berü hrung drei nahe Befreundete. Der blasse Prinz riss zitternd den falschen Bart aus dem Gesicht des erstarrten Liebenden und schrak vor dem erkannten Freund in zuckendem Schmerz zurü ck. Noch einen Augenblick standen sich die Mä nner mit stieren Augen schweigend gegenü ber, und leerten den Kelch der bittersten Bitternis bis auf die Neige. Dann gewann der Prinz die Herrschaft ü ber seine Sinne wieder. „Hol’ eine Waffe, Bettelbube! “ rief er dem Freunde zu. Seine Stimme war schrill, brechend und ohne Nachhall, wie der Ton eines springenden Trinkglases. Das Herz wendete sich in seinem Leibe um und wurde voll Galle. Die beiden Menschen, auf welche er Jahre lang alles Gute und Zä rtliche seines Herzens gehä uft hatte, standen vor ihm wie Tempelrä uber. Der Sä nger rannte nach einem Schwerte. Der Prinz riss eines von der Wand des Ganges. Die Kä mpfer klirrten wild und rasend aufeinander. Kaum dass der unsinnige Kampf begonnen hatte, fiel der Prinz mit blutendem Halse nieder. Dem Sä nger rann ein roter Streif von der zerhauenen Wange. Er sah den Freund am Boden sich verblutend winden und sah ü ber ihn die todblasse Kö nigin gebü ckt. Sein Blick verwirrte sich und seine Gedanken wurden uneins, flackernd und blutig. Er ging mit dem roten Schwert in der Hand nach dem Saal, von scheuen Lakaien geflohen und angekü ndigt. Er trat in die Flü gelthü r und stiess die Schwertspitze vor sich in den Boden, mit einem lauten, wahnsinnigen Gelä chter. Im Saal entstand eine enge Stille. Dem Kö nig rann der vergossene Wein ü ber’s ganze Gewand. Dann ward ein Lä rm und eine Verwirrung ohne gleichen. Keiner rü hrte an den bluttriefenden Schwertträ ger. Verstö rte Pagen, weinende und ohnmä chtige Weiber, ratlose Mä nner, entsetzte Greise drä ngten sich zwischen umgestü rzten Sesseln und Gerä ten. Krü ge und Flaschen wurden umgestossen, ü ber zerrissene Tafeltü cher floss in geruhigen Bä chen der edle Wein. Die Musik spielte noch eine kleine Weile fort und brach dann jä h erschrocken mitten im Liede ab. Der Kronprinz trat dem Sä nger zuerst entgegen. „Was ist’s, Liedler? “ „Deinen Blonden hab’ ich erschlagen. Er liegt und mein Schatz kann ihn nimmer wecken. “ Die Diener hatten indess Waffen herbeigetragen und zahlreiche Edle stü rzten gegen die Thü re. Der Kronprinz aber drä ngte sie zurü ck. „Haltet Ruhe, ihr Herren! Eilet lieber, nach dem Prinzen zu sehen. “ Der Erschlagene und die ü ber ihn gebü ckte Kö nigin wurden von einem grossen Gedrä nge umringt. Im Saal blieb allein der Kö nig zurü ck, dessen Verstand vom genossenen Wein verdunkelt war. Zu ihm trat der entstellte Sä nger, sein Liebling, und trank aus seinem Becher. Der Kronprinz stand in der Thü re und betrachtete mit grausamer Neugier den Trunkenen und den Wahnsinnigen, welche in dem verlassenen Prunksaal, aus Einem Becher trinkend, sonderbar und traurig anzusehen waren, wie ein fabelhaftes Fratzenbild eines seelenkranken Malers. In diesem Augenblick loderte das letzte Feuerwerk prachtvoll hinter allen dunklen Fenstern auf. Das Volk wä lzte sich in grossen Haufen vor das still gewordene Schloss und schmü ckte mit seinem dankbaren Jubelgeschrei das Fest des Kö nigs.
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