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Министерство образования и науки Российской Федерации




Министерство образования и науки Российской Федерации

Федеральное государственное бюджетное образовательное учреждение

высшего профессионального образования

«Нижегородский государственный

лингвистический университет

им. Н. А. Добролюбова»

 

Внеаудиторное чтение

Эрих Кестнер

«Близнецы»

Учебно-методические материалы

для студентов начального этапа обучения

(немецкий язык)

Нижний Новгород

Печатается по решению редакционно-издательского совета ФГБОУ ВПО «НГЛУ».

Направление подготовки: 035700. 62 – Лингвистика.

 

УДК 811. 112. 2 (075. 8)

ББК 81. 432. 4 – 93

   В 60

 

Внеаудиторное чтение. Эрих Кестнер «Близнецы»: Учебно-методические материалы для студентов начального этапа обучения (немецкий язык). – Н. Новгород: ФГБОУ ВПО «НГЛУ», 2014. – 76 с.

Настоящие учебно-методические материалы предназначены для студентов начального этапа обучения на ФРГЯ (немецкий язык) и включают текст книги Э. Кестнера «Близнецы» и комплекс заданий, направленных на оформление и развитие навыков чтения, расширение лексического запаса, формирование грамматических навыков, развитие устной монологической и диалогической речи.

УДК 811. 112. 2 (075. 8)

ББК 81. 432. 4 – 93

 

Составители: И. М. Канакова, канд. филол. наук, доцент кафедры немецкого языка

 

Н. В. Чайковская, канд. пед. наук, доцент кафедры немецкого языка

 

Рецензенты: Т. И. Кулигина, канд. филол. наук, доцент кафедры немецкого языка

 

Н. В. Долгалова, канд. пед. наук, доцент кафедры немецкой филологии

 

© ФГБОУ ВПО «НГЛУ», 2014

© Канакова И. М., Чайковская Н. В., 2014

Erstes Kapitel

Kennt ihr Seebü hl[1], das Gebirgsdorf am Bü hlsee? Nein? Dann kennt ihr natü rlich auch das Kinderheim Seebü hl nicht, das bekannte Ferienheim fü r kleine Mä dchen. Schade. Aber es macht nichts[2]. Kinderheime ä hneln einander wie Brote oder Grä ser; wer eines kennt, kennt sie alle. Wer an ihnen vorü berspaziert, hö rt Gelä chter und Geschrei; der spü rt etwas vom Kinderglü ck und Frohsinn.

Freilich abends haben die kleinen Mä dchen oft Heimweh[3], manche von ihnen weinen sogar.

Aber am Morgen ist das Heimweh vergessen. Dann klappern die Milchtassen; dann plappern die kleinen Mä dchen um die Wette[4] und rennen in den grü nen See hinein, planschen und kreischen, schwimmen oder tun doch wenigstens so.

So ist es auch in Seebü hl am See, wo die Geschichte anfä ngt, die hier erzä hlt wird. Eine etwas verzwickte Geschichte. Ihr mü ß t manchmal gut aufpassen, um alles genau zu verstehen. Zu Beginn ist alles noch ganz gemü tlich.

Vorlä ufig baden alle Mä dchen im See, und am wildesten spielt ein kleines neunjä hriges Mä dchen mit lockigem Haar. Sic heiß t Luise, Luise Palfy. Aus Wien.

Da ertö nt vom Hause her ein Gongschlag. Noch einer und ein dritter. Die Kinder und die Helferinnen, die noch baden, steigen ans Ufer.

„Der Gong gilt fü r alle! [5]“ ruft Frä ulein Ulrike. „Sogar fü r Luise. “

„Ich komme ja schon! “ schreit Luise. Und dann kommt sie tatsä chlich.

Punkt zwö lf TJhr wird zu Mittag gegessen; und dann warten alle neugierig auf den Nachmittag. Warum?

Am Nachmittag werden zwanzig „Neue“ erwartet. Zwanzig kleine Mä dchen aus Sü ddeutschland. Werden ein paar Angeber und Klatschbasen dabei sein? Vielleicht „uralte Damen“ von dreizehn oder schon vierzehn Jahren? Werden sie interessante Spielsachen mitbringen? Hoffentlich auch einen groß en Gummiball! Trudes Ball hat keine Luft mehr. Und Brigitte gibt ihren Ball nicht heraus. Sie hat ihn im Schrank eingeschlossen, damit ihm nichts passiert.

* * *

Am Nachmittag stehen also Luise, Trude, Brigitte und die anderen Kinder an dem groß en, weitgeö ffneten Tor und warten gespannt auf den Autobus, der die Neuen von der nä chsten Bahnstation abholen soll. Wenn der Zug pü nktlich ankommt, dann... Da hupt es schon! „Sie kommen! “ Der Autobus fä hrt vorsichtig in die Einfahrt und hä lt.

Der Chauffeur steigt aus und hebt ein kleines Mä dchen nach dem anderen aus dem Wagen, dann auch Koffer und Taschen und Puppen und Kö rbe und Tü ten und Teddys und Roller und Schirmchen und Thermosflaschen und Regenmä ntel und Rucksä cke und Bilderbü cher — eine bunte Fracht[6].

Zum Schluß steht in der Wagentü r noch als zwanzigste ein ernstaussehendes kleines Mä dchen. Als ihr der Chauffeur helfen will, schü ttelt sie energisch den Kopf. „Danke, nein! “ sagt sie hö flich und steigt ruhig und sicher aus dem Autobus. Unten blickt sie sich verlegen um. Plö tzlich macht sie groß e, erstaunte Augen. Sie starrt Luise an! Nun reiß t auch Luise die Augen auf[7] und blickt der Neuen erschrocken ins Gesicht.

Die anderen Kinder und Frä ulein Ulrike schauen ebenfalls verwundert von einer zur anderen. Weswegen denn?. Luise und die Neue sehen sich zum Verwechseln ä hnlich[8]! Zwar hat die eine lange Locken und die andere Zö pfe — aber das ist auch wirklich der einzige Unterschied!

Da dreht sich Luise um und rennt, wie von Lö wen und Tigern verfolgt, in den Garten.

„Luise! “ ruft Frä ulein Ulrike. „Luise! “ Dann zuckt sie die Achseln[9] und bringt die zwanzig Neuen ins Haus. Als letzte geht langsam und verwundert das Zopfmä dchen.

* * *

Frau Holzmann, die Leiterin des Kinderheims, sitzt in ihrem Bü ro und bespricht mit der alten Kö chin den Speisezettel fü r die nä chsten Tage. Da klopft es, und Frä ulein Ulrike, tritt. ein. Sie meldet, daß die Neuen gesund, munter und vollzä hlig angekommen sind.

„Freut mich. Danke schö n. “

„Aber da ist noch etwas zu sagen... [10]“

„Ja? “ die vielbeschä ftigte Heimleiterin blickt kurz hoch. [11]

„Es handelt sich um Luise Palfy“, beginnt Frä ulein Ulrike zö gernd. „Sie wartet vor der Tü r... “

„Was hat sie denn wieder angestellt? “

„Diesmal nichts“, sagt die Helferin, „nur... “

Sie ö ffnet die Tü r und ruft: „Kommt herein, ihr beiden! “ Nun treten zwei kleine Mä dchen ins Zimmer.

Wä hrend Frau Holzmann die Kinder erstaunt ansieht, sagt Frä ulein Ulrike: „Die Neue heiß t Lotte Kö rner und kommt aus Mü nchen. “

„Seid ihr miteinander verwandt? “

Beide schü tteln kaum erkennbar den Kopf.

„Sie haben sich bis heute noch nie gesehen! “ sagt Frä ulein Ulrike. „Seltsam, nicht wahr? “

„Wieso seltsam? “ fragt die Kö chin. „Wie kö nnen sie sich gesehen haben, wenn die eine aus Mü nchen kommt und die andere aus Wien? “

Frau Holzmann sagt freundlich: „Zwei Mä dchen, die sich so ä hnlich sind, werden sicher gute Freundinnen sein. Kommt, gebt euch die Hand! “

„Nein! “ ruft Luise und versteckt die Hä nde auf dem Rü cken.

Frau Holzmann zuckt die Achseln, denkt nach und sagt schließ lich: „Ihr kö nnt gehen! “

Luise lä uft zur Tü r, reiß t sie auf und rennt hinaus. Lotte grü ß t und will langsam aus dem Zimmer gehen.

„Noch einen Augenblick, Lottchen, “ sagt die Leiterin. Sie schlä gt ein groß es Buch auf. „Ich will gleich deinen Namen eintragen, und wann und wo du geboren bist. Und wie deine Eltern heiß en. “

„Ich habe nur noch eine Mutti“, flü stert Lotte.

„Zuerst also deinen Geburtstag! “

* * *

Lotte geht durch den Korridor, steigt die Treppen hinauf, ö ffnet eine Tü r und steht im Schrankzimmer. Ihr Koffer ist noch nicht ausgepackt. Sie fä ngt an, ihre Kleider, Hemden, Schü rzen und Strü mpfe in ihren Schrank zu legen. Durch das offene Fenster hö rt sie fernes Kinderlachen.

Lotte hä lt die Fotografie einer jungen Frau in der Hand. Sie schaut das Bild zä rtlich an und versteckt es dann sorgfä ltig unter den Schü rzen. Als sie die Tü r schließ en will, sieht sie einen Spiegel an der Tü r. Ernst und aufmerksam betrachtet sie sich. Plö tzlich wirft sie die Zö pfe nach hinten und kä mmt ihr Haar, bis es dem Lockenkopf von Luise Palfy ä hnlich ist.

* * *

Luise sitzt mit ihren Freundinnen auf der Gartenmauer und ü berlegt.

„Ich wä re nicht einverstanden, “ sagt Trude, ihre Wiener Klassenkameradin, „wenn eine andere mit meinem Gesicht herumlä uft? [12]“

„Was soll ich denn machen? “ fragt Luise bö se.

„Zerkratze ihr das Gesicht! “ schlä gt Monika vor.

„Das beste wird sein, du beiß t ihr die Nase ab! “ rä t Christine.

„Sie hat mir die ganzen Ferien verdorben! “ sagt Luise ä rgerlich.

„Sie kann doch nichts dafü r! [13]“ erklä rt Steffi.

Da ertö nt der Gong. Und die Mä dchen springen von der Mauer.

* * *

Frau Holzmann sagt im Speisesaal zu Frä ulein Ulrike: „Unsere kleinen Doppelgä ngerinnen sollen nebeneinander sitzen. Vielleicht hilft das! “

Die Kinder kommen lä rmend in den Saal und gehen zu ihren Plä tzen. Die Mä dchen, die Dienst haben, tragen die Schü sseln mit der heiß en Suppe zu den Tischen. Andere fü llen die Teller.

Frä ulein Ulrike tritt hinter Luise und Trude, legt Trude die Hand auf die Schulter und sagt: „Du setzt dich neben Hilde Sturm! “

Trude dreht sich um und will etwas antworten. „Aber... “

„Kein aber! [14]“

Trude zuckt die Achseln und steht beleidigt auf.

Die Lö ffel klappern. Der Platz neben Luise ist leer, und alle Blicke richten sich darauf. Dann gehen — wie auf Kommando — alle Augen zur Tü r[15]. Lotte ist eingetreten.

„Da bist du ja endlich! “ sagt Frä ulein Ulrike. „Komm, ich will dir deinen Platz zeigen. “ Sie bringt das stille, ernste Zopfmä dchen zum Tisch. Luise blickt nicht hoch, sondern iß t wü tend ihre Suppe. Lotte setzt sich gehorsam neben Luise und nimmt ihren Lö ffel, obwohl ihr der Hals wie zugeschnü rt ist[16].

Die anderen kleinen Mä dchen sehen gespannt zu dem merkwü rdigen Paar. Die dicke Steffi sitzt mit offenem Mund da.

Luise kann und will sich nicht lä nger beherrschen. Mit aller Kraft tritt sie unter dem Tisch gegen Lottes Bein. Lotte zuckt vor Schmerz zusammen, sagt aber kein Wort.

* * *

Am Tisch der Erwachsenen sagt die Helferin Gerda kopfschü ttelnd: „Es ist nicht zu glauben! [17] Zwei vö llig fremde Mä dchen und eine solche Ä hnlichkeit! “

Frau Holzmann blickt nachdenklich zu dem Tisch, an dem die beiden Mä dchen sitzen. Dann sagt sie: „Lotte Kö rner bekommt das Bett neben Luise Palfy! Sie mü ssen sich aneinander gewö hnen. “

* * *

Es ist Nacht. Bis auf zwei schlafen alle Kinder. [18] Diese zwei liegen Rü cken an Rü cken und tun, als wü rden sie fest schlafen. [19] Sie liegen aber mit offenen Augen und starren in die Dunkelheit.

Luise blickt bö se auf die silbernen Kreise, die der Mond auf ihr Bett malt. Plö tzlich horcht sie auf. Sie hö rt leises Weinen.

Lotte preß t die Hä nde auf den Mund. Was hatte ihr die Mutter beim Abschied gesagt: „Ich freue mich sehr, daß du ein paar Wochen mit vielen frö hlichen Kindern Zusammensein wirst! Du bist zu ernst fü r dein Alter, Lottchen! Viel zu ernst! Du bist zu viel allein. [20] Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, bin ich mü de. Und du hast inzwischen nicht gespielt wie andere Kinder, sondern abgewaschen, gekocht, den Tisch gedeckt. Komm bitte aus den Ferien mit lachenden Augen zurü ck! [21]“

Nun liegt sie hier neben Luise, die ihr bö se ist, weil sie ihr ä hnelt. Lotte seufzt und weint leise.

Plö tzlich streichelt eine kleine fremde Hand ü ber ihr Haar! Lottchen erschrickt, aber Luises Hand streichelt vorsichtig weiter.

Der Mond schaut durch das groß e Schlafsaalfenster und wundert sich. Da liegen zwei kleine Mä dchen nebeneinander und haben nicht den Mut, sich anzusehen[22]. Lottchen, die eben noch weinte, sucht jetzt mit ihrer Hand langsam die streichelnde Hand von Luise.

„Na, gut“, denkt der alte silberne Mond. „Da kann ich beruhigt untergehen! “ Und das tut er dann auch.

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